VertretungsNetz berichtet in Genf als Teil der zivilgesellschaftlichen Delegation.
Inwieweit hat Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) umgesetzt, wo bestehen bei den Rechten für Menschen mit Behinderungen weiterhin Lücken? In der heutigen Pressekonferenz des unabhängigen Monitoringausschusses werden Ablauf und Themen zur UN-Staatenprüfung vorgestellt: Eine Staatendelegation, unabhängige Überwachungsorgane und eine zivilgesellschaftliche Delegation stehen von 21. bis 23. August 2023 als Vertreter Österreichs in Genf bei der Staatenprüfung vor dem UN-Fachausschusses Rede und Antwort. Auch Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz, wird als Teil der Delegation vor Ort sein und etwa auf Mängel im Erwachsenenschutz und auf Rechtslücken im Maßnahmenvollzug hinweisen.
Seit 2018 ist in Österreich das Erwachsenenschutzgesetz (ErwSchG) in Kraft. Das Ziel: Menschen mit intellektueller oder psychischer Beeinträchtigung ein selbstbestimmtes Leben mit umfassender gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen. „In unserer Vertretungspraxis sehen wir aber, dass die Umsetzung des Gesetzes nach den Zielsetzungen der UN-BRK im Alltag an den fehlenden Unterstützungsangeboten in den Bundesländern scheitert. Unterstützungen wie etwa persönliche Assistenz gibt es nicht, weil die Länder und Gemeinden in Österreich sich für die Umsetzung der UN-BRK nicht primär in der Pflicht sehen und die Verantwortung auf den Bund schieben“, erklärt Marlovits eines der Probleme, die er in Genf anbringen wird. Bereits bei der letzten Staatenprüfung 2013 zeigte sich der UN-Fachausschuss über diese Praxis besorgt und stellte klar, dass sich der Vertragsstaat trotz einer föderalen Struktur nicht seinen aus dem Übereinkommen erwachsenen Verpflichtungen entziehen darf. Doch solange das von Österreich missachtet wird, besteht Inklusion nur auf dem Papier.
So kann etwa das Recht, über den eigenen Wohnort zu entscheiden, nicht ausgeübt werden, wenn sowohl barrierefreier Wohnraum als auch die nötigen Pflege- und Betreuungsdienste nicht zur Verfügung stehen. Stehen Betroffene vor einem Umzug ins Pflegeheim, machen manche Bezirkshauptmannschaften mittlerweile sogar eine bestehende gesetzliche Erwachsenenvertretung zur Bedingung für die Aufnahme – um Abläufe zu vereinfachen und sich nicht mit den Menschen selbst auseinandersetzen zu müssen.
Rechtsschutzdefizite bestehen weiterhin auch im Maßnahmenvollzug. Die kürzlich beschlossene erste Reform ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch in der Prävention wird viel zu wenig getan, damit es gar nicht erst zu einer Einweisung kommt. „Es bräuchte flächendeckende sozialpsychiatrische, niederschwellige Versorgung für Menschen mit psychischer Erkrankung. So könnten viel mehr Erkrankungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden und die Eskalationsspirale, die einen Menschen unter Umständen in den Maßnahmenvollzug bringt, würde rechtzeitig durchbrochen werden. Schon im Anschluss an die letzte Prüfung wurde Österreich für das System Maßnahmenvollzug in Bezug auf Art. 14 (Freiheit und Sicherheit der Person) scharf kritisiert – bis heute hat sich an dieser menschenrechtlich problematischen Situation nicht viel geändert“, so Marlovits.
Im Maßnahmenvollzug inhaftierte Personen mit psychischer Erkrankung haben außerdem immer noch niemanden, der ihre Patient:innenrechte einfordert und sie gegenüber der Einrichtung vertritt, in der sie untergebracht sind. Maßnahmen wie Gurt-Fixierungen oder die Behandlung mit sedierenden Medikamenten finden damit ohne effektiven Rechtsschutz statt.
Themen wie diese wird VertretungsNetz als Teil der Zivildelegation in Genf deponieren. Dass durch die Staatenprüfung tiefgreifende Veränderungen in Bewegung gesetzt werden können, zeigte sich bereits 2013, als nach massiver Kritik am österreichischen Stellvertretungsrecht das Sachwalterrecht grundlegend reformiert worden und im Juli 2018 das 2. Erwachsenenschutzgesetz in Kraft getreten ist.