Die Lebenssituation armutsbetroffener Menschen wird dadurch noch prekärer, warnt Norbert Krammer von VertretungsNetz auf einer Pressekonferenz der Armutskonferenz.
Frau Messner (Name geändert) ist 26 Jahre alt. Aufgrund ihrer intellektuellen Beeinträchtigungen gilt sie als „nicht selbsterhaltungsfähig“ und bezieht Mindestsicherung. Bis vor kurzem lebte sie in Wien bei ihrem Freund. Dieser ist auf Arbeitssuche und neben der Notstandshilfe ebenfalls auf Mindestsicherung angewiesen. Im Sommer 2021 entschließt sich das Paar, nach Niederösterreich zu ziehen, weil die Eltern des jungen Mannes dort leben und damit im familiären Kreis gegenseitige Unterstützung möglich ist. In Niederösterreich wird bei der Bezirkshauptmannschaft ein neuer Antrag – dort auf Sozialhilfe – eingebracht. Die böse Überraschung: Nur mehr die Hälfte der bisherigen Unterstützung wird gewährt. Wie kann das sein?
Es ist kompliziert: Die Sozialhilfeleistung setzt sich in Österreich nunmehr zusammen aus 60% für die Unterstützung des allgemeinen Lebensbedarfs und 40% zur Befriedigung des Wohnbedarfs, also für Miet- bzw. Betriebskosten. Viele Bundesländer gewähren zusätzlich einen Wohnzuschuss (ergänzende Wohnbeihilfe) für Personen mit wenig oder ohne Einkommen. Doch immer öfter rechnen Sozialhilfebehörden die Wohnbeihilfe als Einkommen und ziehen sie von der Sozialhilfe ab. „Das ist ein riesiges Problem für Betroffene, denn dadurch müssen sie auf einmal mit bis zu mehreren hundert Euro weniger im Monat auskommen“, sagt Norbert Krammer, Bereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz. Insbesondere für Menschen, die aufgrund von intellektueller Beeinträchtigung oder psychischer Erkrankung als „nicht selbsterhaltungsfähig“ gelten, verschärft sich die soziale Lage dramatisch.
Hungern für die Miete?
Frau Schneider (Name geändert), 41 Jahre alt, erhält Sozialhilfe in der Höhe von ca. 950 Euro. Das ist der gedeckelte Richtsatz in Österreich. Davon sind ca. 380 Euro (40%) für die Zahlung der Wohnkosten gedacht. Die Miete inklusive Nebenkosten beträgt aber 600 Euro, eine günstigere Wohnung ist in der Stadt schwer zu finden. Mit der zusätzlichen Wohnbeihilfe in der Höhe von 250 Euro ging es sich früher aus, den Wohnbedarf für Frau Schneider zu decken. Nun kassiert die Behörde die Wohnbeihilfe als Einkommen und zahlt nur 130 Euro Wohnanteil aus. Um ihre Miete zu zahlen, muss Frau Schneider mit 350 Euro Lebensunterhalt auskommen. Das heißt, eisern sparen, vor allem beim Essen.
„Das sozialpolitische Ziel muss doch sein, Armut zu vermeiden. Wir sehen jedoch eine wesentliche Schlechterstellung von Hilfe suchenden Menschen durch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz“, kritisiert Norbert Krammer. „Einige Behörden ziehen gnadenlos alle zusätzlichen Einkünfte von der Sozialhilfe ab, seien es Sonderzahlungen aus einer Mindestpension, Taschengeld aus einer Beschäftigung in ‚Behindertenwerkstätten‘, Pflegegeld – oder auch einfach nur den Erlös aus dem Verkauf von Straßenzeitungen.“
Für Menschen mit Beeinträchtigungen ist es oft sehr wichtig, dass der Wohnraum barrierefrei ist. Dieses Recht ist auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention abgesichert. Doch barrierefreie Wohnungen überschreiten oft die zu knappen Sozialhilfe-Richtsätze. Eine Übersiedlung von einer sehr schlechten Substandard-Wohnung in eine kleine, barrierefreie Wohnung wird durch die knapp bemessenen Richtsätze erschwert bis verhindert.
VertretungsNetz fordert, wichtige soziale Rechte, wie etwa auf existenzielle Mindestversorgung, Pflege und Wohnen endlich in die Verfassung aufzunehmen. „Um bis dahin schon mal die Frage zu klären, ob es rechtmäßig sein kann, armutsbetroffenen Menschen den Boden unter den Füßen wegzuziehen, bekämpfen wir als Verein die Bescheide betroffener KlientInnen bis vor die Höchstgerichte“, so Krammer.