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Frau im Rollstuhl vor Bett

© Pixabay

14.05.2021

Das Leben mit Covid-19 in Heimen

Bewohnervertretung: Starke Einschränkungen begleiten seit mehr als einem Jahr den Alltag der BewohnerInnen

Von Mitte März bis Anfang Mai 2020 zeigte sich österreichweit in der Heimlandschaft ein sehr ähnliches Bild: Niemand durfte hinaus, niemand durfte hinein. Im Laufe des Jahres veränderte sich die Situation – das Leben und der Umgang mit dem Coronavirus wurden nach dem ersten Schock mehr zur Routine. Für die BewohnerInnen hieß es aber weiterhin weitreichende Einschränkungen in Kauf zu nehmen: keine gemeinsamen Aktivitäten, keine Beschäftigung in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Besuche nur im Freien, in Besucherzonen, später dann zwar am eigenen Zimmer aber zeitlich sehr begrenzt. „Mit dem Argument des Schutzes vor einer Covid-19-Infektion wurde und wird Menschen in Pflege- und Betreuungseinrichtungen seit dem vergangenen Jahr einiges zugemutet. Manche der gesetzten Freiheitsbeschränkungen, wie z.B. Zimmerisolationen bei Einzug oder Rückkehr, erinnerten mehr an Haftbedingungen als an die Schutzmaßnahmen, die für alle in Österreich lebenden Menschen galten“, konstatiert Susanne Jaquemar, Fachbereichsleiterin Bewohnervertretung von VertretungsNetz. „Und die überschießenden Maßnahmen sind noch nicht in allen Einrichtungen zu Ende.“

Oft fehlt die Verhältnismäßigkeit
Seit der Pandemie fokussieren sich alle Maßnahmen auf den Schutz der Gesundheit. Genauer gesagt, auf den Schutz vor einer Erkrankung an Covid-19. Bei den Freiheitsbeschränkungen in den Heimen fehlte jedoch häufig die Verhältnismäßigkeit. „Beispielsweise drohte BewohnerInnen eines Alten- und Pflegeheimes eine 14-tägige Zimmerisolation, wenn sie einen Spaziergang an der frischen Luft machen oder unter Einhaltung der geltenden Schutzmaßnahmen einkaufen gehen wollten“, schildert Jaquemar eine Situation, bei der die Bewohnervertretung aufgrund der überschießenden Freiheitsbeschränkung eine gerichtliche Überprüfung beantragt hat. Weitere Beispiele sind das Versperren von Zimmertüren, obwohl es geeignetere Alternativen dazu gegeben hätte, oder das Mitbeschränken von Zimmernachbarn im Doppelzimmer.

„Mittlerweile hat sich in den Einrichtungen der Umgang mit Covid-19-Infektionen bzw. dem Schutz vor Ansteckung ein Stück weit normalisiert. Dazu trägt sicher bei, dass Pflegepersonen und BetreuerInnen auf gemachte Erfahrungen zurückgreifen können, es eine breit angelegte Teststrategie gibt und die Durchimpfungsrate steigt. Vor dem Setzen von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen werden wieder vermehrt Alternativen und gelindere Mittel erprobt. Dennoch ist die Situation in den Heimen noch weit entfernt von Normalität“, erklärt Susanne Jaquemar.

Besuche und Therapien nur reduziert möglich
Mit der Impfung erhofften sich BewohnerInnen wieder mehr Kontakte zu ihren Angehörigen und Freunden. Aktuell sind vier Besuche pro Woche mit jeweils zwei Personen möglich. „Von den Einrichtungen werden aber teilweise die Verordnungen des Gesundheitsministeriums sehr eng ausgelegt. So gibt es mancherorts immer noch definierte Besuchszeiten oder eine zeitliche Beschränkung des Kontakts auf eine halbe Stunde. Besuche bei Angehörigen zu Hause oder ein Verlassen des Einrichtungsareals wird oftmals von Einrichtungen untersagt. Das ist für alle Beteiligten langfristig kein tragbarer Zustand“, berichtet Susanne Jaquemar.

Auch Therapieangebote wurden im vergangenen Jahr sehr reduziert. Hatte eine Einrichtung z.B. keine/n Physiotherapeutin/-en angestellt, so entfiel für die BewohnerInnen die Therapie. „Das ist fatal, da insbesondere Bewegung und Sturzprophylaxe von zentraler Bedeutung für die BewohnerInnen sind, und nicht alle zusätzlichen Angebote von den Pflegekräften und BetreuerInnen kompensiert werden können“, beschreibt Jaquemar weitere Auswirkungen der Covid-19-Maßnahmen in den Heimen. „Wir wissen von Beispielen, wo auch externen Besuchsdiensten das Spazieren gehen im Freien mit BewohnerInnen verboten wurde.“

Das soziale Leben konnte ebenfalls nur sehr reduziert stattfinden. Ein gemeinsames Essen war phasenweise nicht möglich und Aktivitäten, die in einer Gruppe stattfinden, wurden ausgesetzt oder fanden und finden weiterhin nur begrenzt statt. „BewohnerInnen haben sich zurückgezogen und sind einsam. Diese soziale Isolation führt nachweislich zu Verschlechterungen von (Demenz-) Erkrankungen und die fehlende Mobilität hat zumeist körperlichen Abbau und Immobilität zur Folge“, zählt Jaquemar bereits sichtbare Auswirkungen auf die BewohnerInnen von Pflege- und Betreuungseinrichtungen auf.

Perspektiven für BewohnerInnen
Im vergangenen Jahr brachten die Sommermonate deutliche Erleichterungen für die BewohnerInnen von Pflege- und Betreuungseinrichtung. Viele Aktivitäten und Kontakte verlagerten sich nach draußen. „Eine ähnliche Entwicklung erwarte ich auch heuer“, sagt Susanne Jaquemar. „Im Herbst braucht es jedoch eine andere Strategie. Die präventive Isolation der HeimbewohnerInnen darf nicht mehr die Antwort auf allfällig steigende Infektionszahlen sein.“ Sie fordert daher, bei den Präventionsmaßnahmen auf die Verhältnismäßigkeit zu achten und Gesundheitsschutz wieder breiter zu denken als allein die Ansteckung mit Covid-19 zu verhindern. Die Aufrechterhaltung des sozialen Lebens, der Mobilität und der psychischen Gesundheit sind ebenso ein Teil der Gesundheit und müssen wieder mehr Berücksichtigung finden. „Als Bewohnervertretung ist uns wichtig, dass Freiheitsbeschränkungen immer als das letzte mögliche Mittel verstanden und stets – sofern überhaupt nötig – unter größtmöglicher Schonung der BewohnerInnen gesetzt werden. Die Situation in Pflege- und Betreuungseinrichtungen ist derzeit für alle schwierig: die BewohnerInnen, die Pflegekräfte, die Angehörigen. Umso entscheidender ist es, insbesondere für BewohnerInnen Perspektiven jenseits einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit, die über das Maß für alle in Österreich lebenden Menschen hinaus geht, zu entwickeln – gerade auch vor dem Hintergrund, dass immer mehr Personen über einen Impfschutz verfügen.“