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Foto: Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Tisch nebeneinander, vor ihnen zwei Kaffetassen. Sie lächeln in die Kamer. Gottfried und Lena.

Gottfried und seine ehemalige ehrenamtliche Erwachsenenvertreterin Lena. 

29.04.2025

Ehrenamt in Wien: Wie die Erwachsenenvertretung Leben verändert

Ehrenamtliche Erwachsenenvertreter:innen leisten nicht nur in Wien wertvolle Hilfe. Gottfrieds Lebensweg zeigt, dass engagierte Ehrenamtliche den Unterschied machen. Mit Unterstützung und struktureller Hilfe fand er schließlich seinen Weg in die Unabhängigkeit.

„Ich brauchte dringend Hilfe. Ein schlimmer Schicksalsschlag hatte mir Panikattacken und Depressionen beschert. Ich war in die Obdachlosigkeit abgerutscht. Zusätzlich brachte mir meine Angst vor Behörden, deren Ursache sich in meiner Kindheit begründet, schließlich ein Leben ganz ohne staatliche Unterstützung. Doch irgendwann konnte ich einfach nicht mehr.“, erinnert sich Gottfried an ein Leben, das er lange hinter sich gelassen hat. Der heute 64-Jährige steht stellvertretend für viele Menschen, die nach persönlichen Schicksalsschlägen in eine Abwärtsspirale geraten und Unterstützung benötigen. Gottfried wusste, wie er sich diese Hilfe beschaffen konnte. „Ich bin damals in den 90ern zum Gericht marschiert und habe eine Erwachsenenvertretung, früher noch Sachwalterschaft genannt, für mich selbst beantragt.“ Nur zwei Wochen später stand die dringend benötigte Unterstützung bereit, und er wurde zu einem Klienten des Erwachsenenschutzvereins VertretungsNetz.

Ehrenamtliche Unterstützung: Mehr als Pflichterfüllung

Nach anfänglicher Unterstützung durch eine hauptberufliche Mitarbeiterin von VertretungsNetz übernahm Lena vor einigen Jahren als ehrenamtliche Erwachsenenvertreterin. Sie kümmerte sich um Gottfrieds Amtswege, Kontoführung und Anträge bei Behörden. „Bei Gottfried ging es vor allem darum, dass jemand als Verstärkung, als Schutzmantel dabei ist, wenn er Amtsgänge macht,“ erinnert sich die Ehrenamtliche. Die monatlichen Treffen mit ihr boten Gottfried Sicherheit und Orientierung.

Gottfried und sein Kater

Doch auch Gottfried selbst schaffte sich eine Struktur, die ihm Halt gab. Er schreibt regelmäßig für die Wiener Straßenzeitung Augustin. „Jede ungerade Ausgabe enthält ‚Gottfrieds Tagebuch‘“, berichtet er zufrieden. „Die Leute mögen das. Ich bin ein Schreibtischtäter.“

Sein Kater Karlo ist nicht nur beliebter Statist in seinen Zeitungsartikeln, sondern auch Gefährte in allen Lebenssituationen. Als Gottfrieds erste Katze starb, rutschte er damals in eine tiefe Krise. „Gottfried rief mich kurz vor Silvester an und sagte, es muss wieder eine Katze in seiner Wohnung einziehen. Es muss ein Lebewesen für ihn da sein“, erzählt die ehrenamtliche Erwachsenenvertreterin. Kurzerhand recherchierte sie im Internet, fand eine Wohnungskatze, die in Wien abgegeben wurde, und brachte sie an Silvester zu Gottfried. „Das hat zwar nicht zu den Aufgaben meines Ehrenamts gehört, war aber wichtig für ihn. Es hat ihn vor einem psychischen Absturz bewahrt, deswegen habe ich es gerne gemacht.“

Erfolgreicher Weg aus der Erwachsenenvertretung

Schon länger gab es bei VertretungsNetz die Überlegung, ob Gottfried überhaupt noch eine Erwachsenenvertretung braucht. „Gottfried ist blitzgescheit“, betont Lena. „Er kann alles, aber er hat einfach diese Angst vor Behörden, die ihn lähmt.“

Ein funktionierendes Unterstützungsnetzwerk machte es schließlich möglich, Gottfried lebt in einem betreuten Wohnprojekt des Roten Kreuzes für ehemals obdachlose Männer. „Ich bin gut umsorgt“, sagt er. „Wenn wirklich etwas ist, kann ich zum Personal gehen.“ Die Sozialarbeiter:innen helfen vor Ort bei Anträgen, zweimal wöchentlich kommt eine Heimhilfe, und ein Besuchsdienst sorgt für regelmäßigen sozialen Kontakt. Bei einer gerichtlichen Überprüfung kam die Richterin daher zum Schluss: Das schafft er selber. Am 11. Dezember 2024 wurde die Beendigung der Erwachsenenvertretung rechtskräftig.

Neues Leben mit Freiheit: Finanzielle Selbstständigkeit und alte Gewohnheiten

„Jetzt habe ich eine normale Bankkarte“, berichtet Gottfried über eine der spürbarsten Veränderungen. „Bei der anderen konnte ich immer nur 300 Euro zweimal im Monat abheben.“ Seine neue finanzielle Freiheit geht er mit Bedacht an: „Ich habe mir selbst 500 Euro als Grenze gesetzt." Alte Gewohnheiten wirken dennnoch nach: „Ich habe mich dabei erwischt, dass ich immer noch denke: Ich warte bis zum 22. mit meinem Geld“, lacht er. „Das hat sich so eingefahren.“

Auch wenn er nun keine Erwachsenenvertretung mehr hat, bleibt die Verbindung zwischen Lena und Gottfried bestehen. „Wir haben ausgemacht, wenn er etwas braucht, dann soll er mir schreiben,“ sagt Lena. Für sie ist Gottfrieds Weg in die Selbstständigkeit ein großer Erfolg: „Ich wusste, dass er sein Leben alleine meistern kann. Ich freue mich so für ihn, dass er jetzt diesen Schritt in die Unabhängigkeit gemacht hat.“ Außerdem zeigt Gottfrieds Fall, was ausreichende Unterstützungsangebote ermöglichen. Wahrscheinlich würde es viel weniger Erwachsenenvertretungen benötigen, gäbe es für alle Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung ausreichende Unterstützung von den Ländern“, ist Lena überzeugt.

Gottfried hat eine klare Botschaft an Menschen, die vor der Entscheidung für eine Erwachsenenvertretung stehen: „Man muss ehrlich zu sich selbst sein. Akzeptiere, dass du Hilfe brauchst und lass dir helfen – dazu sind sie da.“ Er weiß aus eigener Erfahrung: „Manche können aufgrund psychischer Erkrankungen ihre Wohnung nicht verlassen oder Termine nicht einhalten. Es ist in Ordnung, sich Hilfe zu holen.“

Ehrenamtliche Erwachsenenvertreter in Wien

Lena betreut aktuell sieben Klient:innen bei VertretungsNetz. Seit 2011 engagiert sie sich als ehrenamtliche Erwachsenenvertreterin. „Man weiß selbst, wie die Dinge funktionieren, und kann den Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung daher so leicht helfen. Man muss es einfach nur machen.“ Was man dafür mitbringen sollte? „Geduld, Zeit und Interesse“, sagt sie ohne zu zögern. Das Ehrenamt bei VertretungsNetz gibt ihr viel zurück. Besonders erfüllend ist für sie der Moment, wenn jemand wie Gottfried den Weg in die Selbstständigkeit findet.

Sie haben Interesse an einem Ehrenamt bei VertretungsNetz? Unter VertretungsNetz | Ehrenamt finden Sie weitere Informationen.