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06.12.2023

Ergebnisse der Studie zur Anwendungspraxis des Heimaufenthaltsgesetzes

Gastbeitrag von Hemma Mayrhofer, Assistenzprofessorin am Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie und Leiterin des Projekts FRALTERNA

Die vom Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS/Universität Innsbruck) durchgeführte Studie FRALTERNA erforschte, wie unter den spezifischen Rahmenbedingungen des HeimAufG Freiheitsbeschränkungen in unterschiedlichen Heimtypen im alten und neuen Geltungsbereich zum Einsatz kommen und im Pflege- und Unterstützungsalltag durch schonendere Alternativen reduziert werden können. Mit in die Forschung einbezogen wurde auch die Arbeit und Umsetzung der vorgesehenen Instrumente des Rechtsschutzes und der Kontrolle (v.a. Bewohnervertretung, Gerichte) und deren Zusammenwirken mit den Einrichtungen.

Methodisches Vorgehen

Die im KIRAS-Sicherheitsforschungsprogramm vom Bundesministerium für Finanzen (BMF) geförderte Studie wurde im (durch die Coronapandemie verlängerten) Zeitraum von November 2020 bis Oktober 2023 österreichweit umgesetzt und realisierte einen methodenpluralen Forschungszugang: repräsentative Online-Befragung zentraler Berufsgruppen (Bewohnervertretung, Richter:innen, anordnungsbefugte Fachkräfte und Ärzt:innen), vertiefende qualitative Fallstudien in sechs Regionen sowie Längs- und Querschnittsanalysen vorliegender statistischer (Melde-)Daten.

Einflussfaktoren auf Beschränkungen und Alternativen

Um statistisch zu prüfen, welche Faktoren auf den Einsatz freiheitsbeschränkender Maßnahmen sowie schonenderer Mittel einwirken, wurden zu den Befragungsdaten der anordnungsbefugten Personen in den Einrichtungen multivariate lineare Regressionsanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass auf den Einsatz von Freiheitsbeschränkungen vor allem Wissen und Haltung des Personals signifikant einwirken: Je mehr Wissens- bzw. Schulungsbedarf die anordnungsbefugten Personen im Bereich HeimAufG und damit verbundener Themen haben, desto höher ist der Anteil an Freiheitsbeschränkungen. Zudem werden in Einrichtungen, in denen eine Haltung überwiegt, die auf die Vorteile von beruhigender bzw. sedierender Medikation fokussiert, signifikant häufiger Freiheitsbeschränkungen eingesetzt.

Das Ausmaß, in dem Alternativen zum Einsatz kommen, wird hingegen durch die in den Einrichtungen vorhandenen Ressourcen und Strukturmerkmale für Betreuung und Pflege signifikant mitbestimmt: Werden die Betreuungs- bzw. Personalressourcen in der Einrichtung von den Anordnungsbefugten als zu knapp eingeschätzt, liegt der Anteil eingesetzter Alternativen signifikant niedriger als bei ausreichend vorhandenen Ressourcen. Und je mehr positive Strukturmerkmale die Betreuung und Pflege aufweist (z.B. auf die Person abgestimmte Pflege- bzw. Betreuungspläne, Risikoeinschätzung, Sturzprävention, aber auch Intensität des interdisziplinären Austauschs auf verschiedenen Ebenen etc.), desto häufiger kommen auch Alternativen zum Einsatz.

Überprüfung durch Bewohnervertretung

In Summe bewerteten in der standardisierten Befragung nahezu alle anordnungsbefugten Personen in den Einrichtungen die Zusammenarbeit mit der Bewohnervertretung als sehr gut (57%) oder eher gut (37%). Teilweise zeigen sich aber systematische Herausforderungen bei der Prüftätigkeit der Bewohnervertretungen. So ist etwa in Einrichtungen für Minderjährige teils noch kein routiniert-akzeptierender Umgang mit dem neuen Kontrollinstrument zu beobachten – mit großen Unterschieden zwischen Einrichtungen und Regionen. Wahrzunehmen sind auch gewisse Schwierigkeiten bei der Überprüfung medikamentöser Beschränkungen, bei denen am häufigsten Divergenzen zwischen Einrichtung und Bewohnervertretung entstehen. Verschärft wird dies teilweise durch schwer erreichbare Ärzt:innen, die insgesamt häufig unzureichend im Überprüfungsprozess präsent sind.

Effekte des Heimaufenthaltsgesetzes

Trotz bestehender Herausforderungen und Verbesserungsbedarfe ist die Wichtigkeit des Heimaufenthaltsgesetzes und der darin verankerten Regelung und Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen in den Einrichtungen weitgehend unumstritten. Lediglich im neuen Geltungsbereich überwiegt (noch) eine zurückhaltendere Einschätzung. Über alle Einrichtungen hinweg werden am häufigsten folgende Effekte des HeimAufG wahrgenommen: veränderte fachliche Haltung des Personals (78%), klarere Standards und Abläufe vor bzw. bei Anwendung von Beschränkungen (77%), mehr Sensibilisierung für freiheitsbeschränkende Wirkungen sedierender Medikation (73%).

In Summe zeichnet sich somit eine beachtliche Erfolgsgeschichte des Heimaufenthaltsgesetzes ab, auch wenn die Studienergebnisse in manchen Bereichen der Anwendungspraxis und Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen Ansätze zur weiteren Verbesserung dieser Praxis aufzeigen.

Link: 
FRALTERNA - Evaluation der Anwendungspraxis von Freiheitsbeschränkungen und alternativer Maßnahmen bei Gefährdungslagen in Heimen