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© Pixabay
10.06.2020

Freie Wahl des Wohnsitzes?

Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention garantiert die freie Wahl des Wohn- und Aufenthaltsorts für Menschen mit Behinderungen. Bis dahin war es ein weiter Weg.

Doch wer bestimmte früher über den Wohnort von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung bzw. psychischer Erkrankung und wie haben sich die gesetzlichen Grundlagen dafür im Lauf der Zeit verändert? Welche gesellschaftlichen Diskurse wurden geführt und wie wurden die Instrumente des Rechtsschutzes in Österreich ausgeformt? Welche gesellschaftlichen Widerstände waren zu überwinden?

Ilse Zapletal, seit vielen Jahren Juristin bei VertretungsNetz, zeichnet in ihrem kürzlich erschienenen Buch die historischen Entwicklungen nach: vom ABGB 1811, über die mitten im 1. Weltkrieg per Notverordnung entstandene Entmündigungsordnung, zu den Regelungen der 1. Republik. Von den Gräueltaten des NS-Regimes bis zur 2. Republik, als mit dem Krankenanstaltengesetz 1957 die zwangsweise Einweisung in die Psychiatrie neu geregelt wurde und 1984 das Sachwalterrecht entstand. Es folgten das Unterbringungsgesetz 1991, das Heimaufenthaltsgesetz 2004, das Sachwalterrecht-Änderungsgesetz 2006 und schließlich die große Reform des Erwachsenenschutz-Gesetzes 2018. Anhand von vielen Beispielen wird stets konkret gezeigt, wie sich die gesetzlichen Grundlagen auf die Lebenssituation betroffener Menschen auswirkte.

Das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz gilt neben der UN-Behindertenrechtskonvention als Meilenstein der Selbstbestimmung für Betroffene. Im zweiten Teil des Buches analysiert die Autorin anhand von Gerichtsakten im OLG-Sprengel Wien, wie die nun gültigen Bestimmungen zur Wohnortänderung umgesetzt werden. Die Ergebnisse machen betroffen: Es zeigt sich nämlich, dass das Recht, den Wohnsitz frei zu wählen, durch diverse Regelungen der Sozial- und Behindertenhilfe und des Pflegegeldwesens bzw. durch deren Rechtsfolgen konterkariert wird. So bleibt oft am Ende als einzige Wohnmöglichkeit für Menschen mit Behinderungen doch wieder nur: das Heim.

Das Buch ist im Linde Verlag, als Band 13 der Schriftenreihe der Interdisziplinären Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) erschienen: 

Ilse Zapletal: 
Freie Wahl von Aufenthalt und Wohnsitz
Linde Verlag, 2020