Wie läuft eine Unterbringung ab, welche Rechte der Patient:innen können eingeschränkt werden? Was tun Patientenanwält:innen im Krankenhaus? Fachbereichsleiter Bernhard Rappert im Interview.
Für eine Einweisung muss noch nichts „passiert“ sein, es handelt sich um einen rein vorsorglichen Freiheitsentzug – unter der Annahme, es könnte etwas geschehen. Das ist eine heikle Angelegenheit, denn persönliche Freiheit ist ein Grundrecht. Deshalb sind klare gesetzliche Regeln wichtig. Eine Einweisung gegen den Willen der betroffenen Person ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich: Erstens muss die Person psychisch erkrankt sein, zweitens muss deswegen eine ernste und erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit der Person selbst oder für andere drohen, z.B. kündigt jemand einen Suizidversuch an oder könnte andere verletzen. Drittens ist die Einweisung nur zulässig, wenn es keine alternative Betreuungsmöglichkeit gibt.
Zum Beispiel ist jemand zwar psychisch erkrankt, es liegt aber keine ernste und erhebliche Gefahr vor. Das ist ja meistens der Fall, weil eine psychische Erkrankung nur selten mit einer Gefährdung einhergeht. Anderes Beispiel: Jemand verhält sich aggressiv oder legt ein „seltsames“ Verhalten an den Tag. Wenn er:sie aber keine psychische Erkrankung hat, ist auch in solchen Fällen keine Einweisung angezeigt.
In erster Linie ist die Polizei zuständig. Die herbeigerufenen Polizist:innen beurteilen, ob eine Einweisung in Frage kommt. Im Regelfall wird ein:e Amtsärzt:in angefordert, der:die prüft, ob die Voraussetzungen (Erkrankung, Gefahr, fehlende Alternativen) wirklich vorliegen. Falls ja, bringt ein Rettungswagen die Person ins Krankenhaus. Dort wird man nochmal ärztlich untersucht. Die zuständigen Ärzt:innen entscheiden dann, ob eine Unterbringung gegen den Willen der Person auf der psychiatrischen Station nötig ist. Auch ein freiwilliger Aufenthalt ist ja als Alternative möglich, wenn sich z.B. die akute Situation entspannt hat und die Person zustimmt, sich behandeln zu lassen, oder eine stationäre Aufnahme ist aus ärztlicher Sicht gar nicht notwendig.
„Unterbringung“ heißt, dass man das Krankenhaus bzw. in der Regel die psychiatrische Station vorerst nicht mehr verlassen darf. Auch weitere Rechte können beschränkt werden. Wird jemand untergebracht, muss das Krankenhaus dies unverzüglich an die Patientenanwaltschaft von VertretungsNetz melden bzw. in Vorarlberg an das Institut für soziale Dienste. Unsere Aufgabe ist der Rechtsschutz bei Zwangsmaßnahmen. Die Mitarbeiter:innen besuchen die Patient:innen so bald wie möglich und unterstützen bzw. vertreten sie gegenüber dem Krankenhaus.
Zusätzlich zu einer Unterbringung sind sogenannte „weitergehende Beschränkungen“ möglich. Das betrifft z.B. Einschränkungen auf ein Zimmer, sedierende Medikamente oder Gurtsysteme zur Beschränkung am Bett. Das kommt nicht selten vor. Ca. ein Drittel der Patient:innen wird im Rahmen des Psychiatrieaufenthalts auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes beschränkt. Rund ein Viertel wird mit Gurten am Bett fixiert. Solche Maßnahmen müssen immer ärztlich angeordnet, dokumentiert und an die Patientenanwaltschaft gemeldet werden. Wir sprechen dann mit den Patient:innen, schauen uns die Dokumentation an und reden mit dem Personal. Die Maßnahmen können auf Antrag der Patient:innen oder der Patientenanwaltschaft vom Gericht auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Das ist übrigens auch bis zu drei Jahre nach einem Psychiatrieaufenthalt möglich.
Es wäre aus unserer Sicht fachgerecht, dass bei einer Fixierung eine 1:1-Betreuung sichergestellt ist. Patient:innen in einer Fixierung sollten sich jederzeit mitteilen können, falls sie etwas brauchen, z.B. auf die Toilette müssen. Man sollte versuchen, die Würde der Patient:innen auch in solchen Situationen zu wahren. Außerdem ist es wichtig, die Vitalparameter im Auge zu behalten. Jemand, der zwangsweise fixiert wird, erhält oft begleitend sedierende Medikamente. In Kombination mit der Rückenlage ist das nicht ungefährlich. Außerdem muss alles unternommen werden, eine derart einschneidende Maßnahme rasch wieder zu beenden. Dafür ist der Kontakt mit der betroffenen Person überaus wichtig.
Ja, es gibt im Ausnahmefall „Beschränkungen von sonstigen Rechten. Z.B. werden persönliche Gegenstände oder die Privatkleidung abgenommen. Seit 2023 müssen solche Maßnahmen ebenfalls an die Patientenanwaltschaft gemeldet werden. Davor wurden sie lediglich dokumentiert und manchmal haben wir sie auf Wunsch der Patient:innen vom Gericht überprüfen lassen. Auch der Kontakt mit der Außenwelt kann beschränkt werden. Hauptsächlich geht es da um die Abnahme von Mobiltelefonen. Besuche könnten ebenfalls eingeschränkt werden, das wird aber wirklich sehr selten gemacht.
Grundsätzlich nicht. Auf vielen Stationen für Kinder und Jugendliche gibt es allgemeine Regeln für die Smartphone-Zeiten, z.B. ist die Nutzung während der Therapiezeiten nicht erlaubt. Der Kontakt zur Außenwelt generell darf aber nur beschränkt werden, wenn ansonsten eine Gefährdung zu erwarten ist. Wenn Jugendliche sich mittels Smartphone in Online-Gruppen bewegen, wo z.B. Selbstverletzung propagiert wird, dann wird ihnen das Gerät abgenommen, aufgrund der vorliegenden psychischen Erkrankung und Gefahr. Das Klinikpersonal ist aber nicht dazu berechtigt, Handyzeiten aus pädagogischen Gründen zwangsweise zu regeln, etwa als „Strafmaßnahme“ für nicht erwünschtes Verhalten. Wenn Patient:innen den Eindruck haben, da passt etwas nicht im Umgang mit dem Thema, können sie sich jederzeit an den:die Patientenanwält:in vor Ort wenden.
Grundsätzlich gilt, dass man sich auch im Freien aufhalten darf. In der Praxis hängt das aber von den baulichen Gegebenheiten ab, also z.B. ob man über den Garten das Krankenhaus verlassen kann. Das Personal möchte natürlich wissen, an welchem Ort die Patient:innen sind. Normalerweise wird im Einzelfall am Stützpunkt entschieden, ob ein:e Patient:in in einen Außenbereich gehen darf. Wird der Zugang zu Außenbereichen auf weniger als eine Stunde pro Tag eingeschränkt, dann muss das ärztlich angeordnet und an uns gemeldet werden.
Spätestens vier Tage, nachdem eine Person untergebracht wurde, muss ein:e Richter:in im Rahmen einer Erstanhörung entscheiden, ob die Unterbringung weiterhin zulässig ist. Solche Gerichtstermine finden direkt im Krankenhaus statt. Eine wichtige Aufgabe der Patientenanwält:innen ist es, die Patient:innen auf diese Termine vorzubereiten und dabei ihre Interessen zu vertreten. Meist ist es entlastend, wenn die Patient:innen verstehen, dass nicht sie selbst vor Gericht stehen, sondern dass das Gericht überprüft, ob das Krankenhaus sich an die gesetzlichen Regeln hält.
Entscheidet der:die Richter:in, dass die Unterbringung vorerst zulässig ist, findet innerhalb der nächsten 14 Tage eine mündliche Verhandlung statt. Dafür wird ein:e Sachverständige:r einbezogen. Wichtig zu wissen ist: Eine Unterbringung muss jederzeit von den Ärzt:innen aufgehoben werden, wenn sie nicht mehr erforderlich ist. Viele Unterbringungen werden sogar schon in den ersten vier Tagen aufgehoben, also bevor der:die Richter:in ins Krankenhaus kommt.
Ja, diesen Eindruck haben wir immer wieder. Vor allem stationäre Aufenthalte auf freiwilliger Basis werden häufig nur deswegen frühzeitig beendet, weil keine Betten zur Verfügung stehen. In solchen Fällen ist dann die Nachbetreuung oft nicht ausreichend sichergestellt. Vor allem im Kinder- und Jugendbereich beobachten wir das regelmäßig.
Die Vertrauensperson unterstützt vor allem emotional. Patient:innen können sich vielleicht leichter beruhigen, wenn ein vertrauter Mensch anwesend ist, demnach können Vertrauenspersonen zu Entlastung und Deeskalation beitragen. Das Recht darauf, eine Vertrauensperson zu benennen, ist auf jeden Fall wichtig, weil einzelne Stationen früher vertraute Personen manchmal abgewiesen haben.
Die Videoüberwachung von Patient:innenzimmern ist rechtlich gesehen eine Beschränkung sonstiger Rechte und dürfte nur im Einzelfall, nach sorgfältiger Abwägung zum Einsatz kommen. Sie ist nur zulässig, wenn sie im lebensnotwendigen Interesse der Person unvermeidlich ist. Videoüberwachung wird in den letzten Jahren jedoch immer öfter und immer unreflektierter eingesetzt, weil die Träger sie stark forcieren. Sie glauben, damit für mehr Sicherheit zu sorgen, aber letztlich tun sie das nicht. Über einen Monitor sieht man oft gar nicht, dass es den Patient:innen somatisch schlecht geht. Die Überwachung verleitet zudem dazu, dass das Personal den persönlichen Kontakt zu den Patient:innen reduziert, das kann sehr gefährlich werden.
Wer entscheidungsfähig ist, entscheidet selbst über eine Behandlung, auch während einer Unterbringung. Wenn jemand nicht entscheidungsfähig ist, entscheidet die Erwachsenenvertretung, wenn es eine gibt. Ansonsten entscheidet in erster Linie das ärztliche Personal, muss aber versuchen, die Entscheidungsfähigkeit des:der Betroffenen durch Aufklärung und Beiziehung von unterstützenden Personen herzustellen. Seit der Gesetzesnovelle 2023 haben Patient:innen und Ärzt:innen zusätzlich das Recht, vor einer medizinischen Behandlung eine gerichtliche Überprüfung zu verlangen, sofern nicht Gefahr in Verzug ist.
Ja, das kommt durchaus in der Praxis an. Über 600 Behandlungen wurden 2024 bereits gerichtlich entschieden, die Mehrheit der Anträge wurde von Ärzt:innen eingebracht. Die meisten Behandlungen hat das Gericht genehmigt. Es fühlt sich für Patient:innen aber trotzdem anders an, wenn sie auf Augenhöhe ihre Wünsche äußern können, als wenn einfach über ihren Kopf hinweg entschieden wird. Das führt dazu, dass Behandlungen besser angenommen werden und damit nachhaltiger sind. Andererseits beobachten wir, dass sich Ärzt:innen mehr Gedanken darüber machen, ob ein Medikament in einer bestimmten Dosierung wirklich notwendig ist und ob nicht eine andere Vereinbarung mir den Patient:innen geschlossen werden kann, welche diese besser akzeptieren können. Das alles führt dazu, dass mehr mit und weniger über die Patient:innen gesprochen wird.