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(c) Shutterstock, Olechowski Rafal
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26.08.2019

Im Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist kein Platz für Gewalt!

Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen leben, wachsen fernab von ihren Familien auf. Manchmal sind sie hunderte Kilometer entfernt von ihrem Heimatort. Der Fachbegriff für solche Situationen ist Fremdunterbringung. Oft haben sie in ihren jungen Jahren schon traumatisierende Erfahrungen gemacht. Die Behandlung mit Psychopharmaka und ähnlichen Medikamenten ist keine Seltenheit.
Seit rund einem Jahr hat die Bewohnervertretung den gesetzlichen Auftrag, auch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Freiheitsbeschränkungen zu überprüfen. „Das Festhalten ist neben den Medikamenten jene Beschränkungsform, die uns am meisten begegnet“, erklärt Susanne Jaquemar, Fachbereichsleiterin Bewohnervertretung von VertretungsNetz. „Dabei handelt sich keineswegs um ein liebevolles Umarmen, wie wir es gemeinhin aus dem familiären Kontext kennen, sondern um das Ergreifen von Armen und/oder Beinen, das Drehen des Arms auf den Rücken oder das auf den Boden Zwingen.“ Diese Arten der Freiheitsbeschränkungen können von wenigen Minuten bis hin zu einer Stunde dauern und sich auch mehrmals täglich wiederholen.

Kein Platz für Gewalt
„Freiheitsbeschränkungen sind immer ein Erfahren von Gewalt. Eine Person wird dadurch gezwungen, ein unerwünschtes Verhalten aufzugeben“, schildert Susanne Jaquemar, was viele Bewohnerinnen und Bewohner von Betreuungseinrichtungen erleben.
Im besonderen Fall von Kindern und Jugendlichen kommt hinzu, dass der Gesetzgeber nochmals betont, dass sich die gesamte Betreuung und Erziehung am Wohl des Kindes zu orientieren hat. Darunter ist eine angemessene Versorgung zu verstehen, aber auch der Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit des Kindes. „Für Gewalt darf da einfach kein Platz sein, schon gar nicht, wenn die jungen Menschen in einer Einrichtung leben. Denn das ist für sich bereits eine herausfordernde Situation.“

Alternativen erproben
Freiheitsbeschränkungen müssen immer das letzte mögliche Mittel und verhältnismäßig sein. Die Bewohnervertretung prüft diese und andere gesetzliche Voraussetzungen in den Einrichtungen. So ist sie auch für den neunjährigen Benjamin vorgegangen. Er wurde bei Impulsdurchbrüchen von seinen Betreuerinnen und Betreuern mehrmals in der Woche festgehalten und auf den Boden gedrückt bzw. in sein Zimmer verbracht. Die Bewohnervertreterin hat sowohl mit Benjamin als auch dem Einrichtungspersonal über diese Situation gesprochen. Im Interesse des Kindes und dem gesetzlichen Auftrag entsprechend hat sie das Erproben von Alternativen angeregt. Aufgrund der Komplexität wurde letztlich eine gerichtliche Überprüfung beantragt. Diese hat den Vorteil, dass externe Expertinnen und Experten beigezogen werden. „Es wurde ein pädagogisches Gutachten erstellt, in dem die Sachverständige zu der erschütternden Erkenntnis kam, dass Benjamin in seinem Wunsch nach Zärtlichkeit und Geborgenheit lieber eine gewaltsame Berührung als gar keine in Kauf nehme“, berichtet Susanne Jaquemar.
In Folge hat das Gericht die körperlichen Zugriffe für unzulässig erklärt. Die Einrichtung ist nun angehalten, die im Gutachten angeregten Alternativen zu erproben. Diese zielen vor allem darauf ab, die Häufigkeit von Impulsdurchbrüchen bei Benjamin und ihre Intensität präventiv zu reduzieren. So wurde zum Beispiel vorgeschlagen, Möglichkeiten wie einen gemeinsamen Fernsehabend mit einer Betreuerin/einem Betreuer und Kuscheln auf der Couch zu schaffen, um auf das kindliche Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung einzugehen oder die Beziehung zum Vater zu stärken.
„Die Geschichte von Benjamin zeigt sehr deutlich, wie wichtig es ist, dass die Bewohnervertretung solche Freiheitsbeschränkungen überprüft und ihre Notwendigkeit hinterfragt. Denn jede Gewalterfahrung hinterlässt Spuren, die das Verhalten junger Menschen massiv beeinträchtigt und sie um Zukunftschancen bringt“, betont Susanne Jaquemar.