Menschen zum Schutz vorsorglich einzusperren, kann nie das Mittel der Wahl sein
Die Corona-Krise brachte für die gesamte Bevölkerung wochenlang massive Einschränkungen. Mittlerweile erfolgt Stück für Stück die Rückkehr zur Normalität. Doch nicht für alle. Menschen in Pflege- oder Behinderteneinrichtungen waren und sind stärker beschränkt, weil sie zur Risikogruppe gehören. Oft wurde das Besuchsverbot in diesen Einrichtungen deshalb gleichzeitig auch zum kompletten Ausgehverbot – nicht einmal Spaziergänge waren erlaubt.
„Solche Grundrechtseingriffe, wie beispielsweise die Einschränkung des Grundrechts auf Bewegungsfreiheit, dürfen einerseits nur auf der Basis von Gesetzen erfolgen und müssen andererseits immer verhältnismäßig sein. Das heißt, ein alter Mensch, der nicht mit COVID-19 infiziert ist, darf sich – so wie alle anderen – auch mal draußen die Beine vertreten“, erläutert Susanne Jaquemar, Fachbereichsleiterin der Bewohnervertretung von VertretungsNetz.
Schützen darf nicht „einsperren“ bedeuten
Die Bewohnervertretung schützt das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit von Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung in Pflege- und Betreuungseinrichtungen. „Das Heimaufenthaltsgesetz gibt einen klaren rechtlichen Rahmen vor, unter welchen Voraussetzungen eine sogenannte Freiheitsbeschränkung angewendet werden darf – auch in Zeiten von Corona“, erklärt Jaquemar. Sehr häufig werde mit dem Schutz der betroffenen Menschen argumentiert. Doch das darf nicht dazu führen, dass Menschen – nur weil sie die Wohnform eines Alten- und Pflegeheims oder einer Behinderteneinrichtung gewählt haben – somit vorsorglich eingesperrt werden. „Das Schöne am Heimaufenthaltsgesetz ist, dass es individuelle Lösungen vorsieht. Das heißt, das Pflegepersonal ist aufgerufen, sich mit der betreffenden Person und der bestehenden Gefährdungssituation auseinander zu setzen und eine individuell passende Lösung zu finden. Das generelle Versperren von Ein- und Ausgängen oder das Androhen einer zweiwöchigen Quarantäne bei Verlassen des Hauses, erfüllen diese Anforderung nicht“, so Jaquemar.
Mehr Normalität für Menschen in Einrichtungen
Die Eindämmung des Corona-Virus hat die Gesellschaft in den letzten Wochen intensiv gefordert. Oberste Prämisse war dabei, sich vor einer Erkrankung schützen. Vorübergehend schränkte diese Prämisse andere Grundrechte ein. „Alte Menschen und Menschen mit Behinderungen zählen zur Risikogruppe. Sie gelten durch das Coronavirus als besonders gefährdet. Es darf aber nicht sein, diese Personen weiter vorsorglich wegzusperren, um sie zu schützen. Es mag zwar für manche sicher scheinen, aber für die Betroffenen ist es eine Zumutung und aus menschenrechtlicher Perspektive absolut inakzeptabel“, hält Jaquemar fest. Sie plädiert für neue kreative Lösungen, um auch Menschen in Einrichtungen wieder mehr Normalität z.B. in Form von Spaziergängen mit Angehörigen zu ermöglichen.
Weiterführende Informationen
Broschüre Heimaufenthaltsgesetz
Bewohnervertretung