Die Fortentwicklung des Sachwalterrechts lebt von den Vereinen
Der Verein VertretungsNetz hat am 21.10.2014 gemeinsam mit den drei anderen Sachwaltervereinen zur Festveranstaltung "30 Jahre Sachwalterrecht – Vertretung und Selbstbestimmung: ein Widerspruch?" eingeladen. Im großen Saal der Arbeiterkammer Wien ging es darum, Perspektiven in der Vertretung auszuloten.
Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter sprach in seinen Eröffnungsworten den VereinssachwalterInnen Dank und große Anerkennung für ihre engagierte Tätigkeit aus: „Als Sachwalter nehmen Sie eine große Verantwortung auf sich.“ Er ergänzte: „Die Fortentwicklung des Sachwalterrechts lebt von den Vereinen“.
Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen unter Sachwalterschaft stehen, merkte der Justizminister kritisch an: „Wenn man Menschen ihre Selbstbestimmung nimmt, dann nimmt man ihnen auch ein Stück ihrer Freiheit, ein Stück ihrer Identität. Ich halte es darum für eine zentrale Aufgabe der Politik, Wege zu suchen, um den Betroffenen ein Stück ihrer Autonomie zurückzugeben, um ihren Alltag selbst zu bestimmen.“ Oft wäre es ausreichend, Betroffenen die nötige Hilfe zur Verfügung zu stellen, auch wenn dies aufwändig ist. „Zwischen Vertretung und Selbstbestimmung muss nicht unbedingt ein Widerspruch bestehen. Wir sind auf der Suche nach neuen Wegen und besseren Alternativen.“
Grußworte richteten auch die Präsidenten von VertretungsNetz und dem Niederösterreichischen Landesverein an die TeilnehmerInnen. Dr. Rainer Gross (NÖLV) verwies auf das massiv gewachsene Bewusstsein für einen menschlich achtsamen Umgang, sozusagen ein „state of the heart“. In den letzten 30 Jahren sei es für PatientInnen/KlientInnen leichter geworden, ihre Würde zu bewahren. Darin sieht Gross das größte Verdienst der VereinssachwalterInnen. Dr. Gerhard Hopf (VertretungsNetz) unterstrich die Rolle der Sachwaltervereine als Motor der Fortentwicklung der Rechtsfürsorge. Dabei verwies er auf das Kernthema, welchen Spielraum für selbstständige Entscheidungen es geben und welche Unterstützung dabei gewährt werden soll.
Dr. Barbara Helige, Vizepräsidentin von VertretungsNetz, brachte ihre Sicht als Familienrichterin ein und beschrieb ihre Erfahrungen aus der Praxis. Eine völlige Abschaffung der Sachwalterschaft lehnt sie ab, einer zeitlichen Befristung steht sie aber sehr positiv gegenüber. Insgesamt forderte sie: „Dort, wo wir die Sachwalterschaft wirklich brauchen, müssen wir sie qualitativ verbessern.“
Dr. Walter Fuchs vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) betonte, dass es in Österreich ein Ost-West-Gefälle gebe. Im Osten bestehen relativ mehr Sachwalterschaften als in Westösterreich, was auf unterschiedliche regionale Rechtskulturen schließen lasse. Weiters führte er an, dass die aktuelle Datenlage unbefriedigend und weitere Forschungen notwendig seien.
Zum Thema Sachwalterschaft und Autonomie referierte Dr. Oliver Koenig vom Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien. Menschen mit Lernschwierigkeiten würde fehlende Selbstständigkeit von Seiten der Gesellschaft zugeschrieben werden. Abhilfe würden sogenannte „Schonräume“, wie z.B. Sachwalterschaft oder institutionelle Wohnformen, schaffen. Für die Umsetzung des Rechts auf Autonomie brauche es Veränderung, Die Frage ist, ob sie von den Betroffenen selbst oder von der Gesellschaft ausgehen soll.
Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit
Für die an die Vorträge anschließende Diskussion standen am Podium zwei Sachwalterschaftserfahrene, eine Richterin, eine Vereinssachwalterin und der für Fragen des Sachwalterrechts zuständige Sektionschef im Justizministerium zur Verfügung. Im Vordergrund stand die Auseinandersetzung zwischen der Schutzfunktion der Sachwalterschaft und dem Autonomiebedürfnis des Einzelnen. Dazu Frau Lucia Vock, die einstmals eine Sachwalterin hatte: „Leuten sollte man Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit lassen.“ Im Bedarfsfall müsse es geeignete Ansprechpartner und Unterstützung geben. Kritische Anmerkungen kommen von der Vereinssachwalterin Annabella Strauß-Seigner: „Immer mehr Institutionen regen eine Sachwalterschaft an, weil es einfacher ist. Man will sich nicht mit der Person, die eine Beeinträchtigung hat, selber auseinandersetzen.“ Die Richterin, Mag. Birgit Eisenmagen, meint, dass der Schutzcharakter einer Sachwalterschaft ein wesentlicher Bereich ist, auf den man nicht vergessen sollte. Dr. Georg Kathrein vom Justizministerium betont, wie wichtig es wäre, auf unterschiedliche Bedürfnisse mit flexibleren Instrumenten einzugehen, z.B. mit der sogenannten „Unterstützten Entscheidungsfindung“. Insgesamt war die sehr lebendige und engagierte Podiums- und Publikumsdiskussion von vielfältigen Vorschlägen für die Neugestaltung der Sachwalterschaft geprägt.
Vermeidung von Sachwalterschaften
Die Geschäftsführer der zwei großen Vereine (Dr. Peter Schlaffer von VertretungsNetz und Mag. Anton Steurer vom Niederösterreichischen Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung) betonten in ihrem Schluss-Statement die Wichtigkeit der Alternativen zur Sachwalterschaft. Erfreulich in diesem Zusammenhang sei, dass im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) mittlerweile ca. 56.600 Vorsorgevollmachten und Vertretungsbefugnisse naher Angehöriger registriert sind. Dies sei ein positiver Trend, der Sachwalterschaften zu vermeiden hilft.
Vision für 2020
Zum Abschluss der Veranstaltung lud Peter Schlaffer zu einer kleinen Zeitreise ein: “Stellen Sie sich vor, wir schreiben das Jahr 2020. Erstmals seit 35 Jahren ist die Gesamtzahl der Sachwalterschaften deutlich zurückgegangen. Dies ist auf konsequente Clearing- und Clearing Plus/Unterstützung zur Selbstbestimmung-Aktivitäten der Sachwaltervereine sowohl für neu angeregte als auch für bestehende Sachwalterschaften zurückzuführen. Zu diesem Rückgang beigetragen haben die von den Sachwaltervereinen initiierte Befristung der Sachwalterschaften sowie das obligatorische Clearing und die Verfahrensvertretung durch VereinssachwalterInnen, die mit dem Sachwalterrechtsänderungsgesetz 2016 eingeführt wurden. Die Bundesländer nehmen ihre Verantwortung wahr, vielfältige Unterstützungsformen auf regionaler Ebene zur Verfügung zu stellen, sodass die Zuständigkeit der Justiz und damit des Rechtsinstitutes der Sachwalterschaft erst dann zur Anwendung kommt, wenn all diese Formen der Unterstützung nicht ausreichen. Nur dann erfolgt eine qualitätsgesicherte und an den Bedarfen und Bedürfnissen der Mandanten ausgerichtete, befristete Unterstützung durch das Rechtsinstitut der Sachwalterschaft. Übrigens, die Sachwalterschaft für alle Angelegenheiten wurde mit dem SWRÄG 2016 abgeschafft.“
Forderungen der Sachwaltervereine
Die Sachwaltervereine fordern:
Die Zuständigkeit der Justiz und damit des Rechtsinstitutes der Sachwalterschaft soll erst dann zur Anwendung kommen, wenn keine anderen Formen der Unterstützung gegeben sind.
Links:
Die Vorträge der Festveranstaltung stehen unter Service zur Verfügung.
Die Fotos der Veranstaltung können in einer FlickR-Galerie besichtigt werden.