Jüngste VwGH-Entscheidung bestätigt erneut, wie dringend das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz reformiert werden muss.
Eine Spende aus einer vorweihnachtlichen Hilfsaktion von 1.000 Euro sollte einem armutsbetroffenen Linzer endlich ein richtiges Bett, einen Kühlschrank, einen Herd und evtl. eine Waschmaschine bescheren. Denn vom laufenden Sozialhilfebezug (knapp 1.200 Euro) gehen sich solche Wohnträume nach Abzug der Miete kaum aus. Doch das Sozialamt setzte daraufhin den Sozialhilfebezug des Betroffenen auf Null. Die Begründung: Wer eine derartig hohe Spende erhalte, benötige keine Sozialhilfe mehr.
Der junge Mann, der aus schwierigen familiären Verhältnissen kommt, hatte es nicht leicht gehabt. Schon mit 14 Jahren hatte er sein Zuhause verloren, erkrankte psychisch und wurde wohnungslos. Mit Unterstützung seiner Erwachsenenvertreterin war es gerade erst gelungen, die Wohnsituation und den Lebensunterhalt abzusichern. Nur einige wichtige Einrichtungsgegenstände fehlten noch.
Dass der Mann das Spendengeld dringend für die Wohnungsausstattung gebraucht hätte, die sonst nicht zu finanzieren war, ließ man am Sozialamt nicht gelten. Er hätte ja um eine Zusatzzahlung ansuchen können. Diese werde in „Härtefällen“ gewährt. Doch was ist ein Härtefall?
„Unseren Erfahrungen nach werden Sonderzahlungen aufgrund des strengen Vollzugs der Sozialhilfe in Oberösterreich sehr selten gewährt, auch wenn unsere Klient:innen sie dringend bräuchten, etwa weil die Waschmaschine repariert werden muss oder eine wichtige Zahnbehandlung ansteht“, berichtet Thomas Berghammer, Bereichsleiter Erwachsenenvertretung. Auch im Anlassfall – immerhin könnte man meinen, kein Bett zu haben, ist per se ein „Härtefall“ – ließ sich das Sozialamt nicht erweichen.
VertretungsNetz bekämpfte daraufhin den Sozialhilfebescheid des betroffenen Klienten mittels einer außergerichtlichen Revision bis vor den Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Denn sogar der strenge (Bundes-)Gesetzgeber des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes wollte eigentlich genau solche Fälle („zweckgewidmete Spende“) von der Anrechnung ausnehmen. Aus der Begründung im Abänderungsantrag vor der Gesetzesbeschlussfassung ist das klar ersichtlich.
Der VwGH argumentiert anders: „Gesetzesmaterialien, soweit sie den aus dem Gesetzestext und der Systematik des Gesetzes gewonnenen Interpretationsergebnissen widersprechen, kommen keine Bedeutung bei der Auslegung des Gesetzes zu“. Und die Gesetzeslage selbst sei eben im Wesentlichen dieselbe geblieben. Auch das Argument, wonach es bei der konkreten Spende nicht um die Deckung des „Standardbedarfs“, sondern eben um die eines „Sonderbedarfs“ ging, zählte für den VwGH nicht. Auf die Deckung solcher Sonderbedarfe habe man laut geltender Rechtslage keinen Anspruch.
Bliebe noch die Möglichkeit, derartige Spenden als Vermögenswert zu rechnen und nicht als Einkommensbestandteil. Schließlich dürfen Sozialhilfeempfänger:innen Ersparnisse behalten, wenn sie unter der Vermögensfreibetragsgrenze von derzeit knapp 7000 Euro liegen. Nein, sagt der VwGH: Die Spende sei im Zuflussmonat zwingend als Einkommen zu qualifizieren.
„Die derzeitige Rechtslage erlaubt es also eindeutig, einem armutsbetroffenen Menschen das Spendengeld von Privatleuten für ein Bett und einen Kühlschrank wieder abzunehmen. Das zeigt, wie dringend das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz reformiert werden muss, damit es wirksam Armut bekämpft“ sagt Thomas Berghammer. Derzeit werden zu viele Notlagen nicht verhindert, sehr wohl aber, dass private Spenden ausgleichen, was das Sozialamt nicht gewährt. „Das stößt auch in der Bevölkerung auf Unverständnis. Wer für die Hilfsaktion gespendet hatte, wollte ja einem Mitmenschen in Not finanziell unter die Arme greifen – und nicht dem Stadt- oder Landesbudget.“
Dazu kommt: Armut und psychische Gesundheit hängen eng zusammen, sie verstärken sich gegenseitig. Wer psychisch erkrankt ist, kommt schwerer aus der Armut heraus, Armutsbetroffene wiederum haben ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken. Die Erfahrung zeigt, dass eine Stabilisierung des Gesundheitszustands oft erst gelingt, wenn Menschen nicht mit ständigen Geldsorgen und damit verbundenen Ängsten kämpfen: Was, wenn jetzt noch eine Mieterhöhung kommt, eine Energie-Nachzahlung droht oder eine teure medizinische Behandlung ansteht?
Wie geht es nun dem jungen Mann, der die Spende nicht behalten durfte? Thomas Berghammer berichtet: „Die erhöhte Familienbeihilfe, eine Leistung, die Menschen mit Behinderungen unter bestimmten Umständen gebührt, wurde zwei Jahre nach der ersten Antragstellung zugestanden, er erhielt eine rückwirkende Nachzahlung. Teile der Wohnungseinrichtung konnten so endlich angeschafft werden. Auch psychisch hat er sich etwas stabilisieren können.“
Für die Sozialhilfe bleibt er aber vorerst gesperrt. Denn die Nachzahlung, auf die er so lange warten musste, wird vom Sozialamt nun als „Vermögen“ gerechnet, das er zuerst aufbrauchen muss. Damit entfällt auch die Krankenversicherung, er muss sich nun selbst versichern. Es ist also ein Aufatmen auf Zeit.