VertretungsNetz: Unsoziale Gesetzesänderung im Eilverfahren trifft Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen hart.
„Viele Menschen, die wir vertreten, sind aufgrund von intellektueller Beeinträchtigung oder psychischer Erkrankung dauerhaft auf Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe angewiesen. Sie müssen ihr Leben schon jetzt ohne jeglichen finanziellen Spielraum bestreiten. Die nun anvisierten Kürzungen in Wien – bei anhaltend steigenden Lebensmittel- und Energiekosten – verschärfen die Situation dramatisch“, kritisiert Gerlinde Heim, Geschäftsführerin von VertretungsNetz, die angekündigten Änderungen bei der Wiener Mindestsicherung.
Besonders irritiert, dass die via Initiativantrag überfallsartig eingebrachte Novelle schon morgen im Wiener Landtag beschlossen werden soll. Kritische Analysen zu den einzelnen Bestimmungen sind anscheinend nicht erwünscht. „Man möchte sich offenbar nicht der Diskussion stellen. Dadurch vergibt man die Chance, Anregungen für Verbesserungen in das Gesetz einfließen zu lassen. Nach dem Grundsatz ‚Nichts über uns ohne uns‘ bricht das Vorgehen auch mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach Menschen mit Behinderungen und ihre Interessensvertretungen in Gesetzwerdungsprozesse einzubeziehen sind, wenn sie von den Folgen betroffen sind“, gibt Heim zu bedenken.
Was droht nun? Dauerbezieher:innen der Mindestsicherung, das sind vor allem Menschen mit Behinderungen, sollen bis zu rund 3.000 Euro pro Jahr verlieren. Denn die Sonderzahlungen, die in Wien bisher zweimal pro Jahr ausbezahlt werden (in Angleichung an sozialversicherungsrechtliche Leistungen, die im Fall des Alters oder Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit vorgesehen sind), sollen künftig halbiert werden.
„Diese Sonderzahlungen sind extrem wichtig, weil sich vom laufenden monatlichen Mindestsicherungsbezug beispielsweise eine Reparatur der Waschmaschine oder eine Zahnbehandlung nicht finanzieren lässt“, erläutert Heim.
Die Sozialhilfe/Mindestsicherung beträgt in allen Bundesländern 1.209,01 Euro monatlich für eine Person. In Wien sind für Menschen mit Behinderungen 86,5 % davon für den Lebensunterhalt vorgesehen, 13,5 % für den Wohnbedarf. Nun soll dieses Verhältnis geändert werden, für das Wohnen werden 25 % des Grundbetrags zweckgewidmet.
Durch diesen Trick wird der Betrag, den Anspruchsberechtigte aus der Mietbeihilfe erhalten können reduziert, weil sich der Selbstbehalt von 13,5 % auf 25 % erhöht. Die Folge: eine Kürzung der Mietbeihilfe um 11,5 % (€ 139,40 monatlich) für eine Person. Gleichzeitig stehen für den Lebensunterhalt, also für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Energie sowie andere persönliche Bedürfnisse wie kulturelle Teilhabe nicht mehr 86,5 %, sondern nur mehr 75 % zur Verfügung.
Ein Beispiel: Frau Blum ist 67 Jahre alt und alleinstehend. Sie lebt mit einer Behinderung, jedoch ohne Anspruch auf einen Behindertenpass, weil der Grad ihrer Behinderung mit „nur“ 40 % festgestellt wurde.
Gerlinde Heim: „Das ursprüngliche Ziel der Mindestsicherungsgesetze war die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausschließung. Ein menschenwürdiges Leben steht allen Menschen zu. Auch jenen, die aufgrund einer persönlichen Notlage, aufgrund von Behinderung oder Erkrankung nicht selbst ihren Lebensunterhalt absichern können. Die Stadt Wien verabschiedet sich nun offenbar von diesem Grundgedanken der Solidarität“.