Die Mitgliedsorganisationen der Armutskonferenz präsentierten am 13.09. ein Programm für ein Österreich ohne Armut.
Von leistbarem Wohnraum über inklusive Bildung, ein barrierefreies Gesundheitssystem bis hin zu sozialen Rechten und stärkerer demokratischer Beteiligung: Die Mitgliedsorganisationen der Armutskonferenz haben gemeinsam mit armutsbetroffenen Menschen auf 34 Seiten Maßnahmen gesammelt, wie sich Armut und Ausgrenzung in Zukunft vermeiden ließen.
Das Thema Gesundheit ist besonders wichtig. Ungleichheiten müssen systematisch reduziert und bestehende Lücken geschlossen werden. Gesetze, Maßnahmen und Verordnungen sollten eine Gesundheitsverträglichkeitsprüfung durchlaufen. Mittels „Health Impact Assessment“, wie es in einigen Ländern bereits erfolgreich im Einsatz ist, könnte man einschätzen, ob und wie sich geplante Vorhaben auf Menschen mit wenig Einkommen und sozialer Benachteiligung auswirken.
Studien zeigen, dass Menschen mit Behinderungen besonders armutsgefährdet sind. „Viele der von uns vertretenen Menschen sind aufgrund von psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung dauerhaft nicht arbeitsfähig. Weil es jedoch keine sozialstaatliche Absicherung für sie gibt, bleiben sie ein Leben lang auf Sozialhilfe angewiesen“, erklärt Gschaider.
Alleinstehende Erwachsene erhalten derzeit höchstens 1.156 Euro Sozialhilfe, 12x pro Jahr, Paare maximal 1.618 Euro. Weil die realen Wohnkosten viel höher sind, als die Richtsätze in der Sozialhilfe vorsehen, müssen sich Betroffene bei den Ausgaben für den Lebensunterhalt stark einschränken, um über die Runden zu kommen.
Wer schon bei Lebensmitteln eisern sparen muss, kann sich Gesundheit erst recht nicht leisten. Ein Impfstoff gegen Diphterie, Polio, Wundstarrkrampf und Keuchhusten kostet derzeit knapp 50 Euro, ein Hepatitis-Impfstoff mit fast 100 Euro fast doppelt so viel. Beide sind privat zu bezahlen. Wer armutsbetroffen ist, kann sich also nicht vor einer Erkrankung schützen.
Für eine Mundhygiene beim Zahnarzt muss man mit mindestens 70 Euro rechnen, die meisten zahnmedizinischen Leistungen bleiben ohnehin illusorisch. „Man beschämt damit die Menschen, denn sie wissen, dass man es ihnen im Gesicht ansehen kann, dass sie sich keine zahnärztliche Behandlung leisten können“, kritisiert Gschaider. Er fordert, mehr in die Gesundheit von Armutsbetroffenen zu investieren.
Neben dem Ausbau von Primärversorgungszentren wäre auch der Einbezug von Peers in der Gesundheitsversorgung sehr wichtig. Vor allem bei chronischen und psychischen Erkrankungen sollten Erfahrungsexpert:innen in die Behandlung eingebunden werden.
Generell braucht es mehr Zeit für Diagnose und Therapie. Schon seit 2018 ist z.B. vorgesehen, dass auch Patient:innen mit Erwachsenenvertretung über medizinische Behandlungen selbst entscheiden, wenn sie dazu in der Lage sind. Ärzt:innen sind verpflichtet, sie in leicht verständlicher Sprache aufzuklären. In der Praxis passiert das viel zu selten, aus Unwissen, Zeitmangel oder Sorge wegen Haftungsfragen.
Aufsuchende Arbeit sollte sowohl im sozialen, als auch im Gesundheitsbereich stark ausgebaut werden. Erste Erfahrungen mit Hometreatment in der psychiatrischen Versorgung zeigen schon, dass sich damit viele stationäre Unterbringungen vermeiden lassen. Das hilft nicht nur erkrankten Menschen, die in ihrem vertrauten Umfeld bleiben können, sondern auch den überlasteten psychiatrischen Krankenhaus-Stationen, vor allem im Kinder- und Jugendbereich. Generell muss viel mehr in Prävention und in den ambulanten Bereich investiert werden. Monatelange Wartezeiten auf Kassentherapieplätze bzw. eine Behandlung nur für jene, die sich das privat leisten können, sind ein unerträglicher Zustand.
„Wer aufgrund einer psychischen Erkrankung oder intellektuellen Beeinträchtigung nicht arbeitsfähig ist, sollte das nicht immer wieder von Neuem aufwändig beweisen müssen“, fordert Gschaider. Viele Betroffene belastet der oft beschämende und respektlose Ton bei medizinischen Begutachtungen. Das zugrundeliegende medizinische Modell von Behinderung steht ohnehin im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention, die einen menschenrechtlichen Ansatz fordert. Qualitätskontrollen in Bezug auf Gutachten und ein Ausbau von sozialen Initiativen wie „Mitgehen“ (Freiwillige begleiten armutsbetroffene Menschen als Vertrauensperson zu Behördenterminen) wären gute Ansätze, um hier gegenzusteuern.
Eine Utopie, die keine bleiben muss: Alle Menschen, die in Österreich leben, werden sozialversichert, mit Anspruch auf Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung. Kein Kind sollte ohne Krankenversicherung bleiben. Wer aufgrund von Beeinträchtigungen nicht arbeiten kann, sollte nicht ein Leben lang von seinen Eltern und Sozialhilfe abhängig bleiben.
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