VertretungsNetz nimmt Stellung zur geplanten Gesetzesreform und fordert Ausbau von Alternativen und Nachsorgeeinrichtungen.
Der Maßnahmenvollzug wird seit etlichen Jahren als menschenrechtliche Baustelle kritisiert. In einem ersten Reformschritt sollen nun zumindest die Voraussetzungen einer Einweisung neu geregelt werden. VertretungsNetz hat den Gesetzesentwurf begutachtet.
VertretungsNetz vertritt als gerichtlicher Erwachsenenvertreter etwa 50 der rund 710 untergebrachten StraftäterInnen im Maßnahmenvollzug, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung als schuldunfähig gelten (§ 21/1 StGB). Einige dieser KlientInnen haben eine intellektuelle Beeinträchtigung bzw. liegt diese zusätzlich zu einer psychischen Erkrankung vor.
„Der Maßnahmenvollzug ist ein komplett falsches Setting für diese Personengruppe“, ist Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz, überzeugt. „Ziel des Vollzugs ist ja die Behandlung und „Besserung“ im Sinne eines Abbaus der Gefährlichkeit und der Vermeidung eines Rückfalls. Diese Menschen verstehen aber oft schlicht die Vorgaben nicht und können damit die geforderte Compliance nicht leisten. Damit haben sie aber keinerlei Perspektive auf eine Entlassung oder auch nur auf Lockerungen, was wiederum zu extrem langen Unterbringungszeiten führt. Einer unserer Klienten ist z.B. seit über 30 Jahren im Maßnahmenvollzug untergebracht und massiv hospitalisiert.“
Als „gefährlich“ gilt man schnell
Im Moment beobachtet VertretungsNetz, dass auch immer mehr Menschen mit demenziellen Erkrankungen nach aggressiven Vorfällen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen (z.B. eine gefährliche Drohung gegen andere BewohnerInnen etc.) in den Maßnahmenvollzug eingewiesen werden. Unsere KlientInnen wissen krankheitsbedingt oft nicht einmal, warum sie dort sind und was sie dort sollen“, so Marlovits.
Mehr als 80 % der Menschen im Maßnahmenvollzug wurden wegen minderschwerer Delikte wie gefährliche Drohung, (versuchter) Widerstand gegen die Staatsgewalt oder (versuchte) Nötigung eingewiesen. Das soll sich nun ändern, da die Anlasstat, die zur Einweisung führt, künftig mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein muss. „Diese Änderung ist dringend notwendig und muss ohne Ausnahme vorgesehen werden. Dass bei einer vermeintlich „besonderen Gefährlichkeit“ auch eine Strafdrohung von nur mehr als einem Jahr ausreichen soll, lehnen wir entschieden ab“, meint Marlovits. Denn als gefährlich kann man sonst schnell gelten.
VertretungsNetz fordert, dass Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen bzw. demenziellen Erkrankungen gar nicht mehr im Maßnahmenvollzug untergebracht werden, unabhängig von der Schwere der Anlasstat. Auch für Jugendliche braucht es alternative sozialtherapeutische Konzepte.
Vertretung durch Erwachsenenschutzvereine sicherstellen
VertretungsNetz fordert dringend, im noch fehlenden 2. Teil des Reformvorhabens zum Maßnahmenvollzug, in dem es um die Bedingungen für bereits Untergebrachte geht, eine gesetzliche Vertretung für psychisch erkrankte Menschen durch Erwachsenenschutzvereine und damit einen wirksamen Rechtsschutz zu verankern. „Wie schon jetzt im Unterbringungsgesetz für psychiatrische Krankenhäuser geregelt, könnten den Betroffenen während der Dauer ihrer Anhaltung PatientenanwältInnen zur Seite gestellt werden. Diese überprüfen etwa, ob die gesetzten Freiheitsbeschränkungen rechtmäßig sind“, sagt Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter Patientenanwaltschaft bei VertretungsNetz.
Kritisch sieht der Verein, dass der aktuelle Gesetzesentwurf auch weiterhin eine zeitlich unbegrenzte Einweisung vorsieht. Auch im Fall einer bedingten Entlassung kann es durch unbegrenzte Verlängerungsmöglichkeiten von Auflagen zu einer lebenslangen Probezeit kommen. „Das ist unverhältnismäßig“, kritisiert Marlovits.
Rechtslücke nach Entlassung schließen
Auch nach der Haft bräuchte es wirksamen Rechtsschutz. Eine bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug oder eine „Unterbrechung der Unterbringung“ auf Zeit erfolgt meist unter der Auflage des betreuten Wohnens. In den wenigen sozialtherapeutischen Einrichtungen, die es derzeit gibt, sind die Betroffenen oft zusätzlichen gerichtlichen Auflagen unterworfen, z.B. müssen sie bestimmte Medikamente einnehmen. Die Einrichtungen verhängen aber mitunter auch von sich aus Freiheitsbeschränkungen, die ihre Grundlage nicht in einer strafrechtlichen Weisung haben (z.B. Festhalten, Versperren des Zimmers, Zurückhalten beim Verlassen der Einrichtung).
Freiheitsbeschränkungen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen dürfen nur im Rahmen des Heimaufenthaltsgesetzes erfolgen und werden von der Bewohnervertretung kontrolliert. Leider gilt dieser Rechtsschutz für Entlassungen unter Auflagen als auch für bedingt Entlassene aus dem Maßnahmenvollzug nicht – obwohl sie mitunter in den gleichen Einrichtungen leben wie andere BewohnerInnen mit psychischer Erkrankung und eventuell sogar den gleichen Freiheitsbeschränkungen unterworfen sind.
„Es ist komplett unverständlich und menschenrechtlich problematisch, dass für zwei Menschen, die sich in derselben Einrichtung aufhalten, zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen gelten“, bringt es Susanne Jaquemar, Fachbereichsleiterin Bewohnervertretung bei VertretungsNetz, auf den Punkt.
Reform braucht Ressourcen für Prävention, Alternativen und Nachsorge
Ob die Maßnahmenvollzugsreform gelingt, wird letztens auch entscheidend davon abhängen, ob alternative Betreuungsstrukturen wie forensisch-therapeutische Ambulanzen und spezialisierte Wohneinrichtungen mit fachlich qualifiziertem Personal geschaffen werden. Alternativ dazu muss auch die Bereitstellung von Leistungen der Persönlichen Assistenz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention für Menschen mit psychischen Erkrankungen vorgesehen werden. Für diejenigen Betroffenen, die nicht ambulant behandelt werden können, muss es kleinstrukturierte forensisch-therapeutische Zentren geben, mit fundierten sozialtherapeutischen Konzepten. Martin Marlovits betont: „Ein weiterer Ausbau von Großanstalten ist aus unserer Sicht der falsche Weg und widerspricht auch den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Link:
Stellungnahme Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz (PDF 404 KB)