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Großaufnahme von zwei Händen, die ratlos ein Pflaster halten

iStock

15.04.2025

Monatelang in der Akutpsychiatrie

Weil in Salzburg Betreuungsplätze fehlen, landen Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen auf psychiatrischen Abteilungen – und bleiben dort.

Michael Koch, ein junger Mann mit intellektueller Beeinträchtigung und Pflegestufe 6, lebt über fünf Jahren in einer Betreuungseinrichtung in Salzburg. Weil es immer wieder zu Impulsdurchbrüchen kommt, wird sein Betreuungsplatz gekündigt. Die Einrichtung informiert das Land Salzburg und beruft Anfang Juli 2024 eine Helferkonferenz ein, um zu besprechen, wie es für Herrn Koch (der in Wirklichkeit anders heißt) weitergehen soll. Fest steht, dass er von den Familienangehörigen, zu denen eine gute Beziehung besteht, nicht betreut werden kann. Eine 24-Stunden-Pflege wäre nötig. 

Anfang September wird die Kündigung rechtswirksam. Man bringt Herrn Koch mit der Rettung von der Einrichtung zur Wohnadresse des Vaters. Dort wird er „abgestellt“ und soll nun bleiben – ungeachtet der schweren Beeinträchtigung und umfangreichen Pflegebedürftigkeit. Der Vater ist mit der Situation völlig überfordert. Es ist etwas anderes, den Sohn für ein paar Stunden am Wochenende zu sich zu holen, als die volle Betreuung rund um die Uhr zu gewährleisten. In der Not wird die Exekutive beigezogen und der Amtsarzt verständigt. Dieser veranlasst, weil eine Betreuungsmöglichkeit fehlt, die Einweisung in die Psychiatrie. 

Endstation Psychiatrie?

Seit nun sieben Monaten (!) wird Herr Koch im geschlossenen Bereich der Akutpsychiatrie behandelt und betreut, weil noch immer keine geeignete Wohnmöglichkeit gefunden werden konnte. Die Patientenanwaltschaft von VertretungsNetz vertritt den jungen Mann seit seiner Unterbringung. Laut Gutachten zeigt er zusätzlich zu seiner intellektuellen Beeinträchtigung mittlerweile Symptome der Hospitalisierung, also gesundheitliche Schäden durch den langen Aufenthalt im Klinik-Setting.

„Herr Koch ist leider kein Einzelfall“, sagt Christine Müllner-Lacher, Bereichsleiterin der Patientenanwaltschaft für Salzburg und Tirol bei VertretungsNetz. „Jedes Jahr müssen drei bis vier Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen und hohem Betreuungsbedarf monatelang in der Psychiatrie bleiben, weil die Versorgung so prekär ist. Schon in den vergangenen Jahren haben wir immer wieder auf das Problem aufmerksam gemacht und es auch in den mit Ende 2023 aufgelösten Beirat für Psychische Gesundheit eingebracht.“ Verbessert wurde nichts, im Gegenteil: Die Situation wird immer schwieriger.

Dazu kommt: Bisher wurde für manche dieser Patient:innen im benachbarten Ausland oder zumindest in einem anderen Bundesland ein Betreuungsplatz gefunden. Aufgrund des allgemeinen Spardrucks und anderer Gründe übernehmen deutsche Einrichtungen aber keine Personen mehr aus Österreich. Sowieso war dies keine ideale Lösung, weil damit regelmäßige Besuche von den wenigen verbliebenen Bezugspersonen sehr erschwert, in manchen Fällen gar unmöglich gemacht wurden.

Nicht jedes Mal das Rad neu erfinden

„Wir fordern das Land Salzburg auf, endlich die Verantwortung zu übernehmen. Es müssen rasch genügend und geeignete Betreuungsplätze für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf zur Verfügung gestellt werden“, sagt Müllner-Lacher. Geeignet heißt dabei nicht unbedingt eine Behinderteneinrichtung – auch engmaschige individuelle Lösungen in Kooperation mit den betroffenen Familien sind vorstellbar. Wichtig sind stabile Teams bestehend aus gut ausgebildeten und geschulten Pflege- und Betreuungskräften.     

„Es ist nicht hinnehmbar, dass man bei jedem dieser Menschen, die so lange auf der Psychiatrie ausharren müssen, immer so tut, als ob es sich um einen besonders komplexen Einzelfall handeln würde, für den man zuerst das Rad neu erfinden muss“, fordert Christine Müllner-Lacher langfristige Pläne seitens der zuständigen Abteilung des Landes ein.

Die Patientenanwältin kritisiert, dass der Versorgungsmangel derzeit am Rücken der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft ausgetragen wird – und auch zu Lasten der psychiatrischen Krankenpfleger:innen geht. Müllner-Lacher: „Es braucht eine nachhaltige und strukturelle Lösung im Sinne der betroffenen Personen und ihrer Gesundheit, Würde und Lebensqualität – nicht ein ‚Pflasterlkleben‘, wie jetzt!“