VertretungsNetz warnt vor negativen sozialen Folgen, wenn Gesetzesentwurf so beschlossen wird.
Wer aufgrund einer psychischen Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung nicht oder nur eingeschränkt arbeiten kann, ist in vielen Fällen dauerhaft auf Sozialhilfe angewiesen. Es ist das letzte soziale Netz. Schon bisher ließ das oberösterreichische Sozialhilfe-Ausführungsgesetz viele Menschen, die unverschuldet in Notlagen geraten sind, im Regen stehen. Nun drohen weitere Verschärfungen.
Der Gesetzesentwurf sieht bspw. unter dem Schlagwort der „Leistungsgerechtigkeit“ vor, dass sich Sozialhilfe-Empfänger:innen um eine Vollzeitbeschäftigung bemühen müssen, sofern keine Kinderbetreuungspflichten bestehen. „Wir vertreten aber viele Menschen, die aufgrund von Erkrankung oder Behinderung nur geringfügig oder in Teilzeit tätig sein können. Auf gesundheitliche Aspekte nimmt der Gesetzgeber keinerlei Rücksicht“, kritisiert Thomas Berghammer, Bereichsleiter für Erwachsenenvertretung in OÖ.
Immer wieder wird nachträglich festgestellt, dass Betroffenen eine höhere Geldleistung zugestanden wäre. Nachzahlungen, z.B. aus der erhöhten Familienbeihilfe, werden jedoch als Einkommen angerechnet und vom Sozialhilfebezug abgezogen. Die Menschen leben also prekär, weil sie monatelang auf einen Bescheid warten und büßen dann das Versäumnis der Behörde, indem sie die Nachzahlung gleich wieder abgeben müssen.
Sozialhilfe-Empfänger:innen haben „Mitwirkungspflichten“. Sie müssen z.B. regelmäßig Bewerbungen schreiben, bestimmte Nachweise und Dokumente vorlegen und Termine einhalten. Manchmal versäumen Personen aufgrund ihrer Beeinträchtigung oder Erkrankung unverschuldet Fristen oder Termine. Wer gerade eine Panikattacke erleidet, schafft es nicht, eine Stunde später am Amt persönlich vorzusprechen. Wer weder über einen PC noch über digitale Kenntnisse verfügt, scheitert an Online-Bewerbungen. Nun droht schon beim ersten Pflichtverstoß eine Kürzung der Sozialhilfe um 30 % für ein Monat, bei erneutem Fehlverhalten um 50 % für drei Monate, bis hin zur kompletten Streichung. Ob das Versäumnis unverschuldet passiert ist, ist unerheblich.
„Hier braucht es dringend Ausnahmebestimmungen. Es ist doch nicht einzusehen, dass man im unverschuldeten Krankheitsfall mit einer Leistungskürzung rechnen muss. Damit werden soziale Notlagen verschärft und Existenzen gefährdet“, so Berghammer.
Die Sperrfrist von sechs Monaten bei Verletzung der Mitwirkungspflichten ist nicht verhältnismäßig, VertretungsNetz warnt vor massiven sozialen Folgen: „Wer monatelang keine Miete zahlen kann, verliert sein Zuhause. Wir werden mehr Wohnungskündigungen, Delogierungen und Obdachlosigkeit sehen. Wird die Sozialhilfe eingestellt, verlieren viele Betroffene außerdem gleichzeitig die Krankenversicherung.“
Personen, die für den Bezug gesperrt wurden, müssen künftig nachweisen, dass die Umstände, die zur Einstellung führten, beseitigt wurden. Wie dieser Nachweis erbracht werden soll, bleibt offen. „Überhaupt enthält der Gesetzesentwurf zahlreiche unbestimmte Begriffe in Bezug auf die Bemühungspflichten. Das räumt den Behörden einen sehr großen Ermessensspielraum ein. Kaum ein:e Betroffene:r kann sich ein Rechtsmittel gegen überzogene Forderungen leisten, damit ist man Willkür ausgeliefert“, sagt Berghammer.
Nur schriftliche oder digital übermittelte Eingaben zuzulassen, ist für viele Betroffene mit gesundheitlichen Einschränkungen, Behinderungen oder Sprachschwierigkeiten eine hohe Hürde. Daher rechnet man bei VertretungsNetz damit, dass mehr Erwachsenenvertretungen angeregt werden, obwohl das System jetzt schon am Anschlag ist. Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention sollte man eigentlich wenn möglich Vertretungsverhältnisse vermeiden.
Außerdem problematisch: Die Sozialhilfeleistung wird großteils (auch bei bestätigter dauerhafter Erwerbsunfähigkeit) mit 12 Monaten befristet. Danach muss man neuerlich einen Antrag stellen – und die Frist stets im Auge behalten. Denn zuerkannt wird die Sozialhilfe erst ab dem Datum der Antragstellung. Es drohen damit finanzielle Lücken im Bezug, obwohl die Betroffenen die Voraussetzungen erfüllen. „Bei Personen, die dauerhaft arbeitsunfähig sind, wäre eine amtswegige Leistungsgewährung angebracht und würde vieles erleichtern“, so Berghammer.
„Wichtig wäre auch, dass eine existenzsichernde Leistung nur mit Bescheid gekürzt und vorher geprüft wird, ob die Verletzung der Mitwirkungspflichten schuldhaft erfolgt ist. Betroffene müssen rechtliches Gehör erhalten, auch ohne schriftliche Eingaben“, fordert Berghammer. Es bräuchte mehr Erwachsenensozialarbeit, niederschwellige Abläufe und Bürokratieabbau statt Pauschalverdächtigungen. So ließe sich auch viel Geld sparen. Indem man es Antragsteller:innen jedoch immer schwerer macht, konterkariert man Armutsbekämpfung und Behindertenrechte.