VertretungsNetz kritisiert: Keine gesetzliche Grundlage für „automatische“ Erwachsenenvertretungen oder Bürgschaften.
Angehörige stehen oft unter sehr hohem Druck, stationäre Pflege zu organisieren, wenn Familienmitglieder zuhause nicht (mehr) betreut werden können. Doch bei der Anmeldung verlangen Behörden immer öfter eine bestehende Erwachsenenvertretung oder aktive Vorsorgevollmacht – und zwar egal, ob zukünftige Bewohner:innen aktuell entscheidungsfähig sind oder nicht.
Ohne eingeschränkte Entscheidungsfähigkeit, etwa aufgrund einer demenziellen Erkrankung, darf aber für niemanden eine Erwachsenenvertretung einfach so bestellt bzw. errichtet werden. Die Entscheidungsfähigkeit muss individuell beurteilt werden.
„Man kann nicht automatisch für jede:n Heimbewohner:in eine Erwachsenenvertretung bestellen, um die eigenen Abläufe zu vereinfachen. Das wäre menschenrechtswidrig und eine Entmündigung“, stellt Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung, klar.
Davon abgesehen ganz grundsätzlich: Die Anmeldung für einen Pflegeplatz ist eine sogenannte „Bedarfsbekundung“ und kein Rechtsgeschäft. Eine rechtsgeschäftliche Entscheidungsfähigkeit kann daher nicht Bedingung dafür sein. Denn Bedarfsanmeldungen sind wenig konkret, sozusagen nur eine Reservierung: Lage, Zimmer und Ausstattung des Pflegeplatzes sind noch unbestimmt. Wer garantiert bei der meist langen Warteliste von oft mehreren hundert Personen, dass der Anmeldung ein konkretes Angebot folgt, das auch den Erwartungen und dem individuellen Bedarf entspricht?
Angehörige sind jedoch in der Regel auf das Pflegeangebot der Länder und Gemeinden angewiesen und trauen sich nicht, zu widersprechen. Sie melden sich bei VertretungsNetz, um eine gesetzliche Erwachsenenvertretung für ihr Familienmitglied registrieren zu lassen – nur um verzweifelt festzustellen, dass das gar nicht möglich ist, wenn „nur“ eine körperliche Beeinträchtigung vorliegt und Entscheidungsfähigkeit noch ausreichend vorhanden ist.
Manche Behörden versuchen seit einiger Zeit außerdem, durch Bürgschaften von Angehörigen einen befürchteten Zahlungsausfall zu verhindern, falls Bewohner:innen kein Vermögen haben. „Die Angehörigen sollen für den Fall, dass jemand einen kostenpflichtigen Kurzzeit- bzw. Übergangspflegeplatz nicht bezahlt, vorab eine Haftungserklärung abgeben. Bei VertretungsNetz sind mehrere Fälle bekannt, wo Zahlscheine von hohen Summen an Familien ausgestellt wurden. Es gibt für solche Bürgschaften jedoch keine gesetzliche Grundlage“, erläutert Marlovits.
Das Erwachsenenschutzgesetz orientiert sich am menschenrechtlichen Begriff von Behinderung und sieht vor, dass auch Personen mit Beeinträchtigungen, abhängig von der Situation und erforderlichenfalls mit Unterstützung, selbstbestimmt entscheiden. Das gilt auch, wenn sie eine Erwachsenenvertretung haben. Leider ist dieser Teil des Gesetzes und der UN-Behindertenrechtskonvention in der Praxis noch zu wenig angekommen. Immer noch werden Menschen oft ausschließlich anhand einer rein medizinischen Diagnose beurteilt – ein veraltetes, defizitäres Modell von Behinderung, das Betroffene diskriminiert und in ihrer Selbstbestimmung einschränkt.
In Salzburg werden seit einiger Zeit sogar noch zusätzliche Hürden aufgebaut. Menschen mit psychischen Erkrankungen werden in den Seniorenwohnhäusern der Stadt seit einigen Jahren nicht mehr aufgenommen. Man müsse die Pflegekräfte vor aggressivem Verhalten schützen, so die stigmatisierende Argumentation, die psychisch erkrankte Menschen pauschal als „gefährlich“ verdächtigt. „Wir fordern ein Ende der Ausgrenzung und Diskriminierung, immerhin trägt Salzburg stolz den Titel Menschenrechtsstadt“, so Norbert Krammer, Bereichsleiter Erwachsenenvertretung für die Region.