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Bewohnervertreter im Beratungsgespräch mit einem Volksschulkind, die beiden sitzen. Das Mädchen hat braune halblange Haare und trägt ein braunes Shirt mit weißen Punkten. Der Bewohnervertreter, ein junger Mann, hat kurze dunkle Haare und ein Nasenpiercing. Er wirkt freundlich und zugewandt

Johannes Zinner

27.08.2024

Recht auf persönliche Freiheit gilt auch für Kinder und Jugendliche

Bewohnervertretung: Zahl der gemeldeten Freiheitsbeschränkungen steigt – vor allem, weil die neue Rechtsgrundlage greift.

Viele Kinder und Jugendliche, die in betreuten Wohngemeinschaften wohnen, sind aufgrund negativer Vorerfahrungen in den Familien psychisch erkrankt bzw. traumatisiert. In akuten Krisen bzw. bei Impulsdurchbrüchen werden sie manchmal von Betreuer:innen unter Einsatz von Körperkraft festgehalten, in ein Zimmer gesperrt oder erhalten Psychopharmaka. Auch in Sonderschulen werden Freiheitsbeschränkungen an Kindern gesetzt.

Seit 2018 überprüft die Bewohnervertretung solche Maßnahmen. Wohneinrichtungen für Kinder und Jugendliche und auch Sonderschulen müssen Freiheitsbeschränkungen nach dem Heimaufenthaltsgesetz von sich aus an die Bewohnervertretung melden. Seit Beginn der Tätigkeit bis Ende 2023 sind bereits rund 20.850 Freiheitsbeschränkungen an Minderjährigen gemeldet worden.

„2023 wurden uns 5.770 neue Freiheitsbeschränkungen an Kindern und Jugendlichen gemeldet. Davon kamen 3.326 aus Wohneinrichtungen und 2.444 aus Sonderschulen. Insgesamt waren fast 1.800 Kinder und Jugendliche (981 Bewohner:innen und 812 Schüler:innen) von einer oder mehreren Freiheitsbeschränkungen betroffen“, sagt Grainne Nebois-Zeman, stv. Fachbereichsleiterin der Bewohnervertretung bei VertretungsNetz.

Sonderschulen meldeten dreimal so oft wie im Vorjahr

Meldungen aus Wohneinrichtungen stiegen im Vergleich zum Vorjahr um ca. 22 %. Die Sonderschulen meldeten 2023 sogar fast dreimal so viele Beschränkungen wie 2022. Das heißt aber nicht, dass die Zahl der Freiheitsbeschränkungen erst jetzt gestiegen ist. „Nach anfänglichem Widerstand in einigen Bundesländern sehen wir vor allem seitens der Sonderschulen eine zunehmende Akzeptanz des Heimaufenthaltsgesetzes. Kinder und Jugendliche profitieren von diesem Rechtsschutz“, analysiert Nebois-Zeman.

In manchen Fällen lässt die Bewohnervertretung Freiheitsbeschränkungen gerichtlich überprüfen. Im Jahr 2023 war dies bei 79 Maßnahmen in Wohneinrichtungen und bei 10 in Sonderschulen der Fall. Neben teils hohen Dosierungen von sedierenden Medikamenten handelte es sich hauptsächlich um Fixierungen.

So wurde ein Schüler einer Sonderschule bei Impulsdurchbrüchen manchmal täglich festgehalten oder am Boden fixiert. Die Maßnahme wurde vom Gericht als unzulässig erklärt. Die Schule erstellte daraufhin einen individuellen Deeskalationsplan. Mit Erfolg: Seither musste das Kind gar nicht mehr fixiert werden.

In einer weiteren Sonderschule musste ein 9-jähriger Schüler den Mittagsschlaf in einem versperrten Gitterbett verbringen. Das zuständige Gericht erklärte auf Antrag von VertretungsNetz auch diese Freiheitsbeschränkung für unzulässig und nicht alters­typisch für einen 9-Jährigen. Das Käfigbett wurde mittlerweile durch eine gepolsterte Schlafhöhle ersetzt, die der Schüler selbstständig verlassen kann.

„Leider haben manche Bundesländer als Träger von Wohneinrichtungen für Kinder- und Jugendliche immer noch ein eingeschränktes Rechtsschutzbewusstsein. Sie sind der Ansicht, das Heimaufenthaltsgesetz gelte in ihren Einrichtungen nicht. Diese Blockadehaltung gegenüber einem Bundesgesetz kostet Kinder und Jugendliche – eine besonders vulnerable Personengruppe – schon seit Jahren den Grundrechtsschutz, der ihnen laut Verfassung zusteht“, kritisiert Nebois-Zeman. Dabei bestätigen zahlreiche gerichtliche Entschei­dungen, dass es die unabhängige Kontrolle durch die Bewohnervertretung braucht:

Erneute Traumatisierungen vermeiden

Ein 3-jähriger Junge mit Bindungsstörungen wurde, wenn er vor dem Einschlafen schrie, in ein sogenanntes „Kammerl“ gesperrt, oft bis zu einer Viertelstunde. Wenn er, zurück im Zimmer, wieder schrie oder sein Bett verließ, wurde er erneut ins „Kammerl“ gebracht, das Prozedere wurde so lange wiederholt, bis er sich „beruhigte“. Die Bewohner­­vertretung ließ die Maßnahme gerichtlich überprüfen. Die vom Gericht zugezogene Sachverständige für Pädagogik stellte in ihrem Gutachten klar, dass die Erziehungsmaßnahme angesichts der bereits erlittenen Bindungsstörungen „weder zielführend noch förderlich für die persönliche Entwicklung“ des Kindes war. Im Gegenteil würde das Alleingelassen-Werden erneut Ängste schüren und es sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit mit weiteren Verhaltensauffälligkeiten zu rechnen“.

Nebois-Zeman betont, dass sich viele Einrichtungen bemühen, das Kindeswohl an die erste Stelle zu stellen, trotz zunehmend prekärer Personallage. Man sehe aber im Zuge der Tätigkeit auch besorgniserregende Maßnahmen sowie falsche oder fehlende Deeskalationspläne.

So wurde ein 9-Jähriger, der in einer Wohneinrichtung lebt, bei Impulsdurchbrüchen, ebenso wie seine Mitbewohner:innen immer wieder in Bauchlage fixiert. Das Gericht erklärte diese Maßnahme für unzulässig. Die Sachverständige führte in ihrem Gutachten aus, dass ein Kind, das sich derart gefangen und ausgeliefert fühlt, so das Recht des Stärkeren lernt und, je häufiger es diese Erfahrung macht, desto normaler solch ein gewaltvolles Verhalten empfinden wird.

Nebois-Zeman stellt klar: „Zwangsmaßnahmen an Kindern und Jugendlichen muss man immer besonders genau hinterfragen, damit es nicht erneut zu Traumatisierungen kommt und Entwicklungschancen vergeben werden. Freiheitsbeschränkungen dürfen wirklich stets nur das allerletzte Mittel sein.“

Zahlen und Daten
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