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eine Gruppe von Erwachsenen und Kindern überquert einen Zebrastreifen, am Horizont Sonnenlicht

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20.02.2024

Schreiben wir die Menschenwürde in die Verfassung!

VertretungsNetz zum Welttag der sozialen Gerechtigkeit

Österreich ist das einzige Land der EU, dessen Verfassung keine sozialen Grundrechte beinhaltet. „Wir sollten diese Lücke dringend schließen, denn die soziale Sicherheit ist schnell gefährdet“, sagt Gerlinde Heim, seit 2024 neue Geschäftsführerin bei VertretungsNetz. Momentan wird z.B. jeden Tag eine neue Idee öffentlich diskutiert, wie man die Sozialhilfe noch restriktiver handhaben könnte. Dabei belaufen sich die staatlichen Kosten dafür auf weniger als 1 % der gesamten Sozialausgaben.

Weil die österreichische Verfassung keine sozialen Grundrechte enthält, wird dem einfachen Gesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eröffnet, den der Verfassungsgerichtshof nur sehr eingeschränkt überprüfen kann. „Soziale Sicherheit, Pflege, Gesundheit und Wohnen sind so fundamentale Themen, man sollte sie nicht nur der Tagespolitik überlassen. Am Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sieht man nämlich sehr gut, wohin das führen kann“, erläutert Heim. Das zeigt auch der heute vorgestellte Bericht von Amnesty International, für den auch Sozialhilferechts-Expert:innen von VertretungsNetz interviewt wurden.

Armutsfalle Sozialhilfe

Im System der Mindestsicherung waren Mindestsätze definiert. Das Ziel war, Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht durch Arbeit sichern können, vor einem Abrutschen in extreme Armut zu bewahren. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz hat nicht einmal das erklärte Ziel, Armut zu vermeiden. Statt Mindeststandards gibt es Höchstsätze – mehr darf es nicht sein. Es gibt auch kein Recht auf dringend benötigte zusätzliche Unterstützung, in der Praxis wird diese auch kaum gewährt. Demgegenüber kann jedes kleine Zusatz-Einkommen angerechnet und damit von der Sozialhilfeleistung abgezogen werden – bis hin zu Erlösen aus dem Verkauf von Straßenzeitungen.

„Viele unserer Klient:innen sind lebenslang auf die Sozialhilfe angewiesen, weil sie aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer intellektuellen Beeinträchtigung als ‚selbsterhaltungsunfähig‘ gelten. Auch wer z.B. einer Beschäftigung in einer Tagesstruktur nachgeht, bleibt armutsgefährdet, denn dort gibt es nur ein Taschengeld von bis zu 100 Euro pro Monat. Auch eine eigene Kranken- und Pensionsversicherung fehlt für diese Personengruppe– eigentlich eine unfassbare Lücke im Sozialstaat“ kritisiert Heim.

Mit dem Stempel „selbsterhaltungsunfähig“ ist ein Leben in Armut meist vorgezeichnet – das gilt oft auch für die Eltern von Menschen mit Behinderungen. Denn diese müssen ein Leben lang für ihre erwachsenen Kinder Unterhalt leisten. Ob Menschen mit Behinderungen auch gezwungen werden, diesen Unterhalt gerichtlich einzuklagen, liegt allein im Ermessensspielraum des zuständigen Sozialamts. VertretungsNetz hat wiederholt auf diese unmenschliche Praxis aufmerksam gemacht, die Betroffene ein Leben lang in Armut und Abhängigkeit hält und Familienbeziehungen massiv belastet.

Soziale Rechte nützen uns allen

„Jeder Mensch kann in eine Krise geraten, psychisch erkranken, den Arbeitsplatz verlieren, in ein Suchtverhalten abrutschen. Alt und pflegebedürftig können wir alle werden. Und dann möchten wir nicht nur das Recht auf politische Teilhabe, auf Meinungsfreiheit und Gleichheit garantiert haben, sondern auch ein Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung und Pflege, auf soziale Sicherheit. Derzeit haben wir nicht einmal das Wort Menschenwürde in der Verfassung, das ist wirklich beschämend“, so Gerlinde Heim.

Die Utopie muss keine bleiben: Die Armutskonferenz hat ein „Bundesverfassungsgesetz soziale Sicherheit“ schon detailliert skizziert. Damit würde eine große menschenrechtliche Lücke geschlossen. Auch vor dem Hintergrund, dass Österreich im Zuge der letzten UN-Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufgefordert wurde, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die hohe Armutsquote von Menschen mit Behinderungen zu senken sowie sozialen Schutz und einen angemessenen Lebensstandard sicherzustellen.


Link: 

Amnesty International: Als würdest du zum Feind gehen. Hürden beim Zugang zu Sozialhilfe in Österreich. Bericht, Februar 2024 (PDF, 960 KB)