Zum Inhalt springen Zur Suche springen Direkt zur Seite Kontakt gehen
Hand einer älteren Frau, die einige Münzen hält, vor einer offenen Geldtasche

iStock

01.12.2023

Soziale Absicherung ist Grundbedingung für Inklusion!

VertretungsNetz zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen

Erst kürzlich hat der Fachausschuss der Vereinten Nationen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ein beschämendes Fazit gezogen: Österreich ist in vielen Bereichen säumig, zum Teil gibt es sogar Rückschritte gegenüber der letzten Staatenprüfung 2013.

So zeigt sich der Fachausschuss u.a. besorgt über die unverhältnismäßig hohe Armutsquote von Menschen mit Behinderungen und empfiehlt Österreich, mit wirksamen Maßnahmen gegenzusteuern. Die UN-BRK normiert z.B. das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz als Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe. Um dies auf nationaler Ebene umzusetzen, bedarf es auch Anstrengungen der Bundesländer, die für Armutsbekämpfung und soziale Absicherung auf Landesebene zuständig sind.

Leider sind gerade die Länder in der Umsetzung ihrer Verpflichtungen säumig. „Menschen mit Behinderungen erhalten durch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes und die darauf aufbauenden Ausführungsgesetze der Länder nicht nur keine Unterstützung, sondern werden oft weiter ausgegrenzt und in prekäre Lebenssituationen gedrängt“, kritisiert Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz.

Restriktive Praxis

Wie wenig man internationale Verpflichtungen ernst nimmt, zeigt z.B. das Burgenland, das unmittelbar nach der Staatenprüfung den Entwurf eines neuen, extrem restriktiven Sozialhilfegesetzes vorgelegt hat. So ist z.B. geplant, die Wohnbeihilfe zur Gänze als Einkommen in den Richtsatz der Sozialhilfe einzurechnen und damit abzuziehen. Auch Sonderzahlungen (Weihnachts- und Urlaubsgeld) aus einer Halbwaisenpension werden einkassiert, obwohl das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz das nicht zwingend vorsieht.

In fast allen Bundesländern zwingen Sozialbehörden Menschen mit Behinderungen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, finanziellen Unterhalt bei ihren Eltern gerichtlich einzufordern. Ansonsten wird die Sozialhilfe empfindlich gekürzt, meist um mehrere hundert Euro. „Menschen, die aufgrund einer Behinderung nicht arbeitsfähig sind, werden ein Leben lang wie Kinder behandelt und ihre Eltern ebenso lange zur Kasse gebeten. Das ist ein Skandal“, so Marlovits.

„Im Unterschied zur früheren Mindestsicherung definiert das Sozialhilfegesetz die Bekämpfung von Armut nicht mehr als Ziel. Wir merken das ganz stark in der Praxis. So wurde einem Klienten in OÖ sogar eine Weihnachtsspende für ein Bett von der Sozialhilfeleistung abgezogen“, so Marlovits. Der „Behindertenbonus“ – eine Sonderzahlung, die das Sozialhilfegrundsatzgesetz gewährt – wird z.B. in OÖ mit Leistungen des Landes aus dem Chancengleichheits-Gesetz gegenverrechnet und gleich wieder abgezogen.

Ständig unter Verdacht

„Immer öfter müssen wir gegen Landesbehörden oder die Pensionsversicherungsanstalt bis vor die Höchstgerichte juristisch vorgehen, um legitime Ansprüche, z.B. auf erhöhte Familienbeihilfe, eine Waisenpension oder eine Heimopferrente durchzusetzen. Der Verdacht, Leistungen zu Unrecht zu beziehen, steht stets im Raum“, schildert Marlovits. Betroffene müssen immer wieder von Neuem aufwändig beweisen, dass sie dauerhaft nicht arbeitsfähig sind, immer wieder den medizinischen Nachweis ihrer Behinderung bringen. Das zugrundeliegende medizinische Modell von Behinderung steht auch im Widerspruch zur UN-BRK, die einen menschenrechtlichen Ansatz fordert.

Nur ein Beispiel: Ein Klient mit einer schweren Angststörung, der sich kaum aus dem Haus traut, hat mittlerweile vier fachärztliche Befundberichte, ein arbeitsmedizinisches Gutachten, zwei weitere Gutachten der PVA sowie zwei amtsärztliche Gutachten, die ihm dauerhafte Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Sogar das Verwaltungsgericht hat das schon bestätigt. Nur ein Jahr nach dem Urteil verlangte die Sozialhilfebehörde erneut, dass er sich einer Begutachtung unterzieht, mittlerweile hat er noch zwei weitere Termine absolviert.

Marlovits resümiert: „Umfassende Inklusion ist ohne tragfähiges soziales Netz nicht zu haben. Der UN-Fachausschuss fordert insbesondere auf Länderebene eine verstärkte Bewusstseinsbildung, welche Verpflichtungen sich aus der UN-BRK ergeben. Doch die politisch Verantwortlichen reagieren weiter mit der Frage ‚was kostet es mich‘, anstatt sich zu fragen, ‚was kann ich tun‘. Wir fordern, die UN-BRK endlich umzusetzen und die Sozialhilfegesetze zu reformieren. Inklusion darf keine Frage der Geldbörse sein.“