VertretungsNetz begrüßt Novelle ab 1.7.2023 – mehr Autonomie für Patient:innen
Rund 25.500 Personen waren in Österreich im Vorjahr gegen oder ohne ihren Willen an einer psychiatrischen Station im Krankenhaus untergebracht. Die gesetzliche Grundlage dafür bildet das Unterbringungsgesetz. Mit der nun in Kraft tretenden Novelle wird das 30 Jahre alte Gesetz weitgehend mit dem Erwachsenenschutzrecht und der UN-Behindertenrechtskonvention in Einklang gebracht.
„Die Grundrechte der Patient:innen werden nun gestärkt. Mit der Novelle werden einige langjährige Forderungen von uns umgesetzt“, zeigt sich Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter Patientenanwaltschaft bei VertretungsNetz, zufrieden mit der Reform. Die Patientenanwält:innen von VertretungsNetz arbeiten direkt im Krankenhaus und sichern den Rechtsschutz der Patient:innen während der zwangsweisen Unterbringung bzw. wenn es zu Freiheitsbeschränkungen kommt.
Ganz wichtig sind die gesetzlichen Änderungen bei Zwangsbehandlungen. Wer nicht entscheidungsfähig ist und eine medizinische Behandlung, z.B. mit Medikamenten ablehnt, darf derzeit dennoch zwangsweise behandelt werden, mitunter sogar unter Anwendung von Gurtfixierungen oder Körperkraft. In Zukunft können Patient:innen verlangen, dass vor Durchführung einer medizinischen Behandlung das Gericht über die Zulässigkeit entscheidet. Ausnahme sind Situationen mit „Gefahr in Verzug“.
Auch für Kinder und Jugendliche gibt es wichtige Änderungen: Immer wieder kommt es z.B. vor, dass freiheitsbeschränkende Maßnahmen angeordnet werden, die von den Ärzt:innen als „krankenhaustypisch“ bewertet werden. Der Vergleichsmaßstab ist, ob psychisch gesunde gleichaltrige Kinder auf somatischen Stationen ähnlichen Maßnahmen unterworfen sind.
Solche Maßnahmen finden derzeit ohne jeden Rechtsschutz statt, häufig wissen nicht einmal die Eltern Bescheid. Auch die bisherige Rechtsprechung war sehr uneinheitlich. Ist es alterstypisch, einen 8-Jährigen in einem Auszeitraum einzusperren oder nicht? „Mit der Novelle wird klargestellt, dass alle Bewegungseinschränkungen an Kindern und Jugendlichen an die Patientenanwaltschaft und die Eltern gemeldet werden müssen“, erklärt Rappert. Auch andere „krankenhaustypische“ Einschränkungen (z.B. reduzierte Smartphone-Nutzung oder versperrte Stationstüren in der Nacht) müssen nun transparent vorgenommen werden.
Besonders wichtig ist auch das neue Recht der Patient:innen auf eine Vertrauensperson. Die Selbstbestimmung der Betroffenen soll dadurch gestärkt werden. Vertrauenspersonen wurden schon bisher an manchen psychiatrischen Abteilungen in den Behandlungsprozess eingebunden, aber das war keineswegs überall so üblich. Nun wird es rechtlich verbindlich vorgesehen. Auch dass sich die Klinik explizit darum bemühen muss, dass Patient:innen nach der Entlassung weiterhin möglichst gut betreut werden, ist ein wichtiger Impuls des Gesetzgebers.
Kritisch sieht die Patientenanwaltschaft die neuen Regeln zur Datenweitergabe. Wer z.B. wegen eines akuten Burnouts oder Depressionen ein paar Tage in der Psychiatrie untergebracht ist, dessen Unterbringungsdaten sollten nicht an die Führerscheinbehörde oder für jedes zukünftige Strafverfahren weitergegeben werden können. „Informationen über derartige Akutzustände haben selten eine langfristige Relevanz und bringen keinen Mehrwert für die öffentliche Sicherheit. Eine überschießende Datenweitergabe zu psychischen Erkrankungen kann jedoch zu Stigmatisierung führen“, befürchtet Rappert.
Viel wichtiger wäre es, Gefährdungsprognosen treffsicherer zu machen: durch Aus- und Weiterbildung des Klinikpersonals und vor allem durch Ressourcen. „Wenn Ärzt:innen viel zu wenig Zeit haben, um seriös zu beurteilen, ob aufgrund einer Erkrankung eine Gefahr besteht, dann kommt es zwangsläufig zu Fehlentscheidungen – dies vor allem zu Lasten der Freiheit“, so Rappert. Mit mehr qualifiziertem Personal und modernen Raumkonzepten für die Psychiatrie könnte man wirkungsvoll für mehr Sicherheit sorgen.
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