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23.01.2023

Wunderwuzzi Erwachsenenvertreter:in?

Sarah Höllrigl arbeitet seit fünf Jahren als Erwachsenenvertreterin bei VertretungsNetz, Michaela Komàrkovà ist seit 2021 im Verein tätig. Ihr Joballtag umfasst weitaus mehr als trockene Vermögensverwaltung.

Was macht man eigentlich genau als Erwachsenenvertreter:in?

Michaela: „An einem typischen Montagmorgen komme ich ins Büro und checke zunächst meine SMS am Diensthandy und meine E-Mails – viele meiner Klient:innen schreiben mir ihre Anliegen zu allen Tages- und Nachtzeiten. Ich ordne erstmal, wer braucht Geld, wen muss ich zurückrufen, was gibt es noch für Bedürfnisse? Dann kommt der Schriftverkehr dran: wo gilt es Briefe zu beantworten oder Anträge zum Beispiel für Sozialhilfe oder Familienbeihilfe zu stellen. Meist kommen dann die ersten Klient:innen ins Büro, wir gehen gemeinsam zu den Behörden oder ich besuche sie zuhause.“

Sarah: „Unsere Klient:innen sind Personen, die sich wegen ihrer psychischen Erkrankung oder intellektuellen Beeinträchtigung nicht um alle ihre Angelegenheiten im Rechtsverkehr kümmern können. Für sie bestellt dann das jeweils zuständige Bezirksgericht einen Erwachsenenschutzverein wie VertretungsNetz zum Erwachsenenvertreter und ich als Mitarbeiterin werde schließlich mit der Vertretung betraut. Ebenfalls festgelegt wird in diesen Verfahren mein Wirkungsbereich. Das können zum Beispiel die Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten, der Abschluss von Rechtsgeschäften oder die Entscheidung über medizinische Angelegenheiten sein. Aber ich bin auch für die Personensorge zuständig und treffe meine Klient:innen daher mindestens einmal monatlich, um mich nach deren Befinden zu erkundigen.“

Michaela: „Genau, besuche ich meine:n Klient:in zuhause, dann geht es in erster Linie um das persönliche Gespräch. Man plaudert, erkundigt sich nach den aktuellen Plänen, braucht es zum Beispiel Extrageld für einen Ausflug? Oder wir schauen uns gemeinsam die letzte Post an, was kann mein:e Klient:in alleine bewältigen, wo braucht sie:er Unterstützung?“

 

Was sind die Highlights der Erwachsenenvertretung?

Sarah: „Es gibt viele kleine und große Erfolge bei meiner Arbeit. Etwa, wenn Ansprüche für unsere Klient:innen durchgesetzt werden können, wenn eine Betreuung oder geschützte Arbeit organisiert oder ein bestimmter Wunsch einer:eines Klient:in erfüllt werden kann. Aber besonders freut es uns, wenn wir eine Erwachsenenvertretung beenden können. Denn das ist unser oberstes Ziel: So viel Selbstbestimmung wie möglich für unsere Klient:innen zu erreichen.“

Michaela: „Ich erinnere mich da an eine Frau: Sie stand jahrzehntelang unter Sachwalterschaft und wurde nie gefragt, wie sie leben will. Eine eigene Wohnung und das eigene Geld blieben ein Wunschtraum. Aufgrund ihrer intellektuellen Beeinträchtigung traute man ihr ein eigenständiges Leben gar nicht zu. Als VertretungsNetz den Fall im Clearing überprüfte und empfahl, die gerichtliche Erwachsenenvertretung aufzuheben, änderte sich für die Frau so viel. Sie hat inzwischen eine Freundin als gewählte Erwachsenenvertreterin bestimmt. Sie unterstützt sie bei Behördenwegen und in der Vermögensverwaltung. Über alle anderen Angelegenheiten entscheidet sie seither allein – ihr Traum eines selbstbestimmten Lebens wurde wahr.“

Welche (Soft) Skills sollte man als Erwachsenenvertreter:in besitzen?

Sarah: „Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse und Vorstellungen vom Leben. Ein gewisses Maß an Offenheit, Verständnis und Toleranz für die Lebensweisen unserer Klient:innen ist in der Vertretungsarbeit wichtig. Daneben finde ich es wichtig, eine gewisse Ausdauer und Frustrationstoleranz mitzubringen, da die Zusammenarbeit mit Behörden, Gerichten, oder aber auch Angehörigen durchaus herausfordernd sein kann.“

Michaela: „Man darf die eigenen Vorstellungen nicht auf die Klient:innen übertragen. Wenn man Situationen offen auf sich zukommen lassen kann, ist man gut beraten. Wir stellen mit unserem Tun Angebote an die vertretenen Personen, ob diese sie auch annehmen, bleibt ihnen überlassen. Natürlich sollte man selbst auch sehr genau und sehr organisiert sein. Wenn man auch noch gut zuhören kann und keine Scheu vor Menschen hat, dann ist man richtig in dem Beruf.“

Eine soziale Ader, Kenntnisse im Banken-, Rechts- und Gesundheitswesen und Verwaltungsknowhow – muss man als Erwachsenenvertreter:in ein Wunderwuzzi sein?

Sarah: „Nein. Neueinsteiger bekommen bei VertretungsNetz ein dreiwöchiges Curriculum, sozusagen eine Grundausbildung, bei der auch rechtliche und medizinische Grundlagen erworben werden. Dieses findet in Wien in unserer Zentrale statt. Zusätzlich ist eine Einschulung in unser EDV-Programm nötig. Aber am wichtigsten ist aus meiner Sicht die kollegiale Zusammenarbeit am jeweiligen Standort in Form eines Mentorings. Das bedeutet, dass im ersten Dienstjahr eine bestimmte Person für alle Fragen der:des neuen Mitarbeiter:in zur Verfügung steht.“

Michaela: „Es ist zudem völlig in Ordnung, wenn man sich nicht in allen Bereichen auskennt. Man muss nur wissen, wie und wo man sich das Knowhow beschafft. Ich habe zum Beispiel die FH für soziale Arbeit abgeschlossen und mich anfangs sehr vor den juristischen Aspekten der Vertretungstätigkeit gefürchtet. Ich sitze jedoch mit einer Juristin im selben Büro, mit der ich mich bei unserer Arbeit gut ergänze. Außerdem gibt es im Verein viele Vorlagen und hilfsbereite Kolleg:innen, die man jeder Zeit fragen kann. Das ist überhaupt das Zauberwort: Nachfragen, sei es bei den Behörden, beim Arztbesuch oder im privaten Umfeld der Klient:innen. So lassen sich viele Türe öffnen und Probleme aus dem Weg räumen.“